Die Zustände in der Türkei verschärfen sich von Tag zu Tag. Kritische Journalisten können nicht mehr frei arbeiten. Ihre Reichweite wird durch verschiedene Maßnahmen künstlich verkleinert und viel schlimmer noch, als freier Schreiberling muss man damit rechnen jederzeit verhaftet und angeklagt zu werden. Beamte wurden entlassen und durch Regierungstreue ersetzt. Gleiches in den Stätten der Bildung. Von einer Demokratie zu reden ist in Bezug auf die Türkei ein Spott für alle Menschen, die für die Aufklärung ihr Leben eingebüßt haben. Dieses Land schreitet in so rasanter Geschwindigkeit zurück in die Zeit, dass selbst rechte Trolle vor dieser Geschwindigkeit in Ehrfurcht erstarren müssen. Gerade erst der Bericht über den Plan sexuelle Übergriffe an Kindern straffrei zu belassen, wenn es denn in einer (Kinder)Ehe geschehe.
Schutz von Kindern, Schutz von Minderheiten, Frauenrechte. Das alles sind nicht einmal mehr Fremdwörter, diese Begriffe kommen im Duden des Erdogan gar nicht vor.
Nun stellt sich uns die Frage, wie wir damit umgehen wollen. Schließlich will die Türkei weiterhin der EU beitreten. Außerdem gibt es einen Flüchtlingspakt zwischen der Türkei und Deutschland. War ich vor zwei Monaten noch unentschieden, ob ein Abbruch der Verhandlungen denn wirklich der richtige Schritt ist, würde ich mich wohl heute dem Ruf der europäischen Sozialdemokraten anschließen. Jedoch pochen noch immer zwei Herzen in meiner Brust.
Zwar ist es nicht mehr erträglich uns erpressen zu lassen von Erdogan. Dieser Zustand kommt mit fortsetzender Dauer immer mehr dem Verkauf unserer Werte gleich. Dabei handelt es sich hierbei um unumstößliche Werte, um unser Gesicht und unseren Geist. Im gleichen Atemzug muss aber eine Frage einen ganz zentralen Platz einnehmen: Wie haben wir den größten Einfluss auf die Geschehnisse in der Türkei?
Meiner Meinung nach muss man Zeichen der Stärke senden. Darunter fällt die Beendigung des Flüchtlingspaktes (Auch wenn das viele weitere Probleme bedeuten würde) sowie das auf Eis legen der Beitrittsverhandlungen. Erdogan versteht nämlich unser Zögern in dieser Hinsicht als Schwäche. Er wähnt sich in der starken Position und sieht uns als erpressbar an, was leider sogar zutreffend ist. Ich war vor nicht allzu langer Zeit der Meinung, dass man an den Beitrittsgesprächen festhalten muss, um eben weiterhin maximalen Einfluss zu haben. Doch da habe ich mich verschätzt. Denn ob die Verhandlungen stattfinden oder nicht, Erdogan macht, was er will. Er denkt simpel. Entweder ist man stark oder man ist schwach. Deswegen ist es wichtig Stärke zu zeigen.
Allerdings: Bewusst sollen die Verhandlungen nicht für alle Zeiten beendet werden. Denn gleichzeitig erreicht man mit Beendigung jeglichen Austauschs nichts, rein gar nichts. Es muss deshalb die Perspektive gegeben sein, jederzeit zu den Gesprächen zurückkommen zu können. Diplomatie darf niemals enden, nicht einmal mit den schlimmsten Despoten.