Wie Heidi Hetzer uns den Spiegel vorhält – ohne es zu wollen

Gerade eben erst ist Heidi Hetzer von ihrer mehr als zweijährigen Weltreise mit ihrem Auto „Hudo“ nach Deutschland zurückgekehrt. Kaum ist sie wieder da, wird sie zum Spielball von Medien und einem sensationsgeilen und hypersensiblen Publikum. Einige versuchen sie sogar zu instrumentalisieren.

Da saß sie nun, Heidi Hetzer 79, und berichtete sichtlich euphorisiert von ihren Erlebnissen mein ZDF Morgenmagazin. Ein Interview, von denen sie aktuell viele gibt. Schließlich ist sie momentan eine gefragte Frau. Es gibt nicht viele Menschen, die den Mut haben mit einem Auto, das älter ist als sie selbst, einmal um die Welt zu fahren. Schon gar nicht in dem Alter.
So erzählt sie von all den tollen Erlebnissen, von den Unterschieden zu Deutschland und der Natur. Dann sagt sie etwas Dummes: „Aber wie überall gibt es auch dort Nachteile. Die klauen. Die Schwarzen sind … nur wenn Sie eine olle Jacke im Auto liegen lassen, klauen sie die. Die klauen alles. Also meine Kette haben sie geklaut, die Scheiben von meinem Auto eingeschlagen, das Navi rausgeholt, das ganze Auto ausgeräumt, die Tasche geklaut, also alles. Das ist die Schwierigkeit.“ Badabum! Die Moderatorin Jana Pareigis zieht eine Schnute und weist auf die allgemein herrschende Armut hin. Dem Videoclip zufolge hat Heidi Hetzer gar nicht mitbekommen, dass ihr Satz so angekommen ist, wie er aufgenommen wurde.

Fehlende journalistische Sorgfalt

Es war kein kluger Satz, lapidar und unüberlegt dahergesagt und in seiner Aussage natürlich falsch. Doch was dann daraus entstand, war kaum abzusehen. Denn plötzlich wurde aus der mutigen, lebensfrohen und sympathischen älteren Dame eine Rassistin, eine die sich auf eine Stufe mit der AfD steht und sich dieser Partei bitte sofort anschließen solle, so der Wortlaut vieler Kommentatoren. Einige Zeitschriften sind gleich auf den Zug aufgesprungen. So titelte die „WeLT“ unter anderem bezüglich Heidi Hetzers Aussage: „Südafrika ist schön – wenn da nur die Schwarzen nicht wären“, zwar nicht als wörtliches Zitat, aber frei hineininterpretiert. Als wäre dies sinngemäß das, was Frau Hetzer gesagt hat. Eine, wie ich finde, sehr böswillige Interpretation von Hetzers Satz. Eigentlich lese ich die WeLT gerne, aber hierbei ist der Grundsatz der jounalistischen Sorgfalt sträflich missachtet worden. Es geht nur um Klicks und die Empörungswut einiger Menschen. Besonders bei einem so sensiblen Theme wie diesem. Das wiederum befeuert dann die Wut einiger Kommentatoren. So heißt es unter anderem „Nomen est omen“ oder sie sei eine elende Rassistin. Auch Jana Pareigis äußert sich über Facebook. Sie schreibt „[…] Ich hoffe, dass dieses Interview zumindest dazu führt, dass über rassistische Vorurteile diskutiert wird, die vielleicht auch Frau Hetzer dazu bewegt zu haben scheinen, persönliche Erfahrungen zu verallgemeinern.“ und unterstellt ihr damit rassistische Vorurteile. Ich frage mich, hat Heidi Hetzer das verdient?

Mit ihr redet niemand – nur über sie redet man

Eine Frau, die zwei Jahre Kontakt zu mehr unterschiedlichen Menschen hatte, als viele von uns im gesamten Leben, wird als Rassistin tituliert. Statt mit ihr zu reden, hat man über sie geredet. Diesen Vorwurf muss sich auch Jana Pareigis gefallen lassen. Ich kann verstehen, dass sie in der Show noch zu perplex war, um direkt konkret nachzufragen, wie genau Frau Hetzer ihre Aussage meinte. Aber anstatt nochmal persönlich in Kontakt zu treten oder auf eine Stellungnahme Hetzers zu warten, wurde sie ohne Umschweife verurteilt. Und das in einem Staat, in dem jemand erst als schuldig gilt, wenn die Schuld erwiesen wurde? Finde ich abstrus.

Rechtspopulisten versuchen sie zu instrumentalisieren

Die mediale Schelte führte leider auch schnell dazu, dass sie von den üblichen Verdächtigen, den wahren Hetzern, fälschlicherweise zur Heldin ausgerufen wurde. Schließlich ist es ein Reflex von ihnen: Wer von den großen Medien (egal von welchen) kritisiert wird, der muss auf ihrer Seite stehen und zu den armen Unterdrückten gehören, die gegen die ach so grausame politische Korrektheit kämpfen. In Wahrheit sind aber gerade das die Menschen, auf die eine Kritik a la Heidi Hetzer viel besser passt. Diese Leute meinten, sie würde nur aussprechen, was wahr ist, auch wenn es halt nicht der politischen Korrektheit entspräche. Die rechten Schreihälse unterstellen Frau Hetzer, dass sie tatsächlich meinen würde, alle Schwarzen würden klauen und folgen damit der gleichen Annahme, wie auch die Empörungswütigen das tun. Ob sie das wirklich so gemeint hat, konnte keiner wissen, denn eine Chance sich zu rechtfertigen hat man ihr nicht gegeben, bevor man sie verurteilte. Willkommen im Haifischbecken Deutschland.

Was Heidi Hetzer wirklich meint

In der Tat hat sie sich nun geäußert und sagt, dass es ihr fürchterlich leid tue. „Es war nicht so gemeint. Den Satz ‚die Schwarzen klauen alles‘ habe ich in Südafrika so oft gehört. Sogar von Schwarzen selber. Das bezog sich darauf, dass ich auf dem Überwachungsvideo gesehen habe, wie in Kapstadt vier Schwarze mein Navi aus dem abgeschlossenen Hudo geklaut haben. In Kapstadt hat mir ein Schwarzer den goldenen Berlinbären vom Hals gerissen und in St. Lucia wurde mein Auto komplett leer geräumt. Immer wieder wurde mir in Südafrika dieser Satz gesagt. In der Sendung habe ich ihn unreflektiert geäußert. Das war ein Fehler. Ich entschuldige mich für diese Äußerung. Wie kann ich das wieder gut machen? Nächstes Jahr plane ich doch auch wieder durch Afrika zu reisen. Einmal quer durch.“ Es geht klar hervor, dass Heidi Hetzer völlig bewusst ist, wie sehr Kriminalität mit sozialen Strukturen zu tun hat und wie wenig mit der Hautfarbe. Dort sind farbige Menschen lange massiv unterdrückt worden und haben heute im Großteil Südafrikas sehr viel schlechtere Möglichkeiten und Perspektiven als weiße Menschen. Dass dann die Rate der Verbrechen der farbigen Menschen höher ist, als die der Weißen, ist völlig klar und hat nichts mit verschiedenen Hautfarben zu tun. Vielmehr sind die farbigen Menschen auch heute noch Opfer vom damaligen europäischen Rassismus. Ob Heidi das auch so sieht hätte man fragen können. Man wollte es nicht. Zumindest nicht die, die bereits geurteilt haben. Ich bin mir sicher, sie würde zustimmen.

Wenn man sich zumindest ein bisschen mit ihr auseinander gesetzt hätte, dann wäre man sicher auch auf andere Zitate gestoßen. So sagte sie unter anderem in einem Interview mit dem rbb „Es ist eben überall schön. Darum verteilen sich ja die Menschen auch auf der Welt. Die normale Bevölkerung war überall sowas von nett. Wenn man ihr auch nett entgegentritt natürlich. Also wenn ich die Leute anlache, dann lachen die auch zurück. Aber die lachen auch von alleine. Das ist einfach anders. Da haben sie Zeit. Und hier in Deutschland hat man keine Zeit. Da ist man zwar sehr effektiv, dafür kann man die Deutschen nur loben, aber keiner hat Zeit, freundlich zu sein.“ Außerdem sagt sie, dass eines der schönen Dinge auf ihrer Reise sei, dass die erfahren konnte, überall auf der Welt gebe es so tolle Menschen. Also, wer diese Frau für eine Rassistin hält, der unterstellt auch einem Blatt, wenn es sich im Herbst braun färbt, einen rassistischen Hintergrund.

Die Verwässerung des Begriffes Rassismus

Da sehe ich ein großes Problem. Denn wenn man Menschen Rassismus unterstellt, auf die dieser Vorwurf keineswegs zutrifft, dann verwässert man den Begriff Rassismus an sich. Und das ist schrecklich. Die Verwässerung der Begriffes Rassismus ist wie eine Mauer, hinter der sich echte Rassisten, von denen es leider reichlich gibt, verstecken können. So wird es irgendwann nicht mehr möglich Rassisten als Rassisten zu bezeichnen, weil sie sich hinter Menschen wie Heidi verstecken können und sie als Schutzschild benutzen. Derlei schwere Vorwürfe dürfen ihre Eindeutigkeit nicht verlieren und schon gar nicht ihren Wert. Benutzt man aber Begriffe wie Rassismus, Faschismus zu inflationär, dann trägt man dazu bei, dass diese Begriffe in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Das kann und darf nicht in unserem Interesse liegen. Besser wäre es, wenn man miteinander redet, statt nur übereinander. Eine einfache Nachfrage hätte dafür gesorgt, dass dieser Skandal, der niemals einer werden hätte dürfen auch niemals einer geworden wäre.

Eine komplizierte Gratwanderung

Meine Gedanken sind tief gespalten. Eine Seite kämpft gegen die andere und irgendwie fühlt es sich wie ein Unentschieden an. Geht das überhaupt? Schließlich sind beide Seiten kaum miteinander zu vereinbaren. Wie soll es da eine gütliche Einigung geben können? Na danke, Erdogan.

Spätestens seit der türkische Präsident mit dem Hang zum Größenwahn Yücel gefangen genommen und und im Anschluss Deutschland auf infantilste und gröbste Art beleidigt hat, weiß ich nicht so recht, wie man mit Erdogan und seinen Ministern umgehen sollte. Sie bezichtigen Deutschland der „Nazi-Methoden“, sie sprechen unserem Land Demokratieverständnis ab und sie bemängeln fehlende Rechtsstaatlichkeit. Kurzum: Erdogan und seine Minister werfen Deutschland genau das vor, dessen sie sich selbst gerade schuldig machen. Ein alter aber wirksamer Trick, um den Begriff der Demokratie immer weiter zu entfremden.

Man wird sprachlos bei solch einer Dreistigkeit, beinahe wütend. Immerhin wollen eben jene in Deutschland auftreten, haben das mitunter bereits gemacht. Sie wollen für das Präsidialsystem werben, also für die Abschaffung der tükrischen Demokratie. Der Gedanke, das einfach verbieten zu wollen, liegt dabei nicht fern. Keine Toleranz der Intoleranz, so heißt es schließlich. Gleiches gilt für die demokratischen Rechte. Wer diese nur nutzt, um sie abzuschaffen, der sollte sie nicht nutzen dürfen. Eigentlich eine klare Sache.

Oder auch nicht. Denn in Deutschland haben wir Presse- und Meinungsfreiheit, wir sind eine wirkliche Demokratie. Im Gegensatz zur Türkei. Das heißt aber auch, dass wir den hohen Standarts gerecht werden müssen und uns es nicht so einfach machen dürfen, wie Erdogan und seine Gefolgsleute e tun. Deswegen muss die Hürde, die es braucht eine Kundgebungen zu untersagen, sehr hoch sein. Fehlende Meinungsfreiheit woanders darf kein Argument sein, selbst an diesen Schrauben zu drehen. Rein moralisch. Denn die Fähigkeit viel zu dulden, bleibt nun einmal eine demokratische Pflicht.

Soviel zur rein deutschen Sichtweise. Nimmt man Erdogan noch mit in das Gedankenspiel mit auf, dann stellt sich die Frage, was ein Verbot bzw. ein Nicht-Verbot für Auswirkungen auf ihn hätte. Alles wird noch komplizierter. Soll man Appeasement Politik betreiben oder soll man Stärke zeigen? Wir alle wissen, dass Ersteres nicht immer von Erfolg gekrönt war. Bevor ich mich aber in Hitlervergleichen verliere, muss ich sagen, dass ich diese nicht ziehen will. Man sollte Erdogan jedoch nicht unterschätzen. Größenwahn hat bereits viel Schaden angerichtet auf der Welt. Dass Erdogan reichlich davon besitzt, müsste jedem mittlerweile klar geworden sein.

Er ist ein sehr simpler und unmoderner Mensch. Er teilt auf in schwach und in stark. Betreibt man Appeasement Politik, dann kann man davon ausgehen, dass er das als Schwäche aufnehmen wird. Ob er sich diesem Falle mäßigen würde, darf bezweifelt werden. Vielmehr ist es möglich, dass seine Entgleisungen immer schlimmer werden und er weiter und weiter versucht, seine ihm gesetzten Grenzen zu verschieben. Eine gefährliche Situation.

Bleibt noch die Frage, wie man Merkels Reaktion bewerten soll. Abgesehen davon, dass sie ein wenig zu spät und vielleicht ein My zu wenig deutlich war, traf sie den richtigen Ton. Die Stellungnahme war sehr souverän und gelassen und verkörperte damit unsere Demokratie, wie man es nicht viel besser hätte machen können. Die Provokationen der türkischen Spitzenpolitiker zielten darauf ab, uns auf das schwache Niveau Erdogans herunterzuziehen. Darauf hat sich Merkel nicht eingelassen und so vielleicht die Art von Stärke gezeigt, die es momentan braucht.

Aber reicht das? Ich weiß es nicht. Die verschiedenen Ebenen der Sachlage sind sehr widersprüchlich und deshalb nicht einfach zu lösen.

Ein entscheidender Moment

Autokorsos ziehen an meinem Fenster vorbei. Sie hupen und werden begleitet von der Polizei. Sie hupen nicht ohne Grund, sondern um ihre Solidarität mit Deniz Yücel auszudrücken. Ein Journalist, in Deutschland geboren, aber mit doppelter Staatsbürgerschaft. Er schreibt manchmal kontrovers, entgegen der türkischen Regierung sehr kritisch. Das war sein Verhängnis. Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft, diese kann bis zu 5 Jahren dauern. Kritiker, gleich ob Beamter, Richter oder Journalist, werden reihenweise abgesägt oder ihrer Freiheit beraubt. Und das immer mithilfe des gleichen Vorwurfs. Und zwar Unterstützer oder Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein. Der Vorwurf ist so durchschaubar wie er lächerlich ist. Denn einfach jeder, der auch nur leiseste Kritik am Regime unter Erdogan übt, macht sich dessen schuldig.

Ein fatales Zeichen an Erdogan

Erdogan beschreitet einen Weg, der die aufgeklärte Türkei in einen Unrechtsstaat, in eine Diktatur führen wird. Er ist unbeirrbar, agiert willkürlich, unter ihm wird das alles kein Ende finden. Erdogan scheint berauscht von seiner Macht, fühlt sich womöglich grenzenlos mächtig. Was ja bezüglich der Türkei auch richtig ist. Er kann nun schalten und walten, wie er will. Um ihm aber aufzuzeigen, dass auch seine Macht begrenzt ist, muss die deutsche Regierung nun Stärke zeigen. Deniz Yücel ist schließlich auch deutscher Staatsbürger, in Deutschland geboren. Er ist einer aus unserer Mitte. Kommt Erdogan damit durch und Yücel wird nicht mehr freigelassen, dann ist das ein fatales Zeichen an Erdogan. Dies wäre nichts anderes als ein Eingeständnis, dass sich die Bundesregierung Erdogan unterordnet.

Es geht um mehr als ein Einzelschicksal

Deniz Yücel ist kontrovers, aber das tut nichts zur Sache. Denn kontrovers zu sein, ist kein Straftatbestand. Die Vorwürfe sind eins zu eins abgleichbar mit tausenden anderen Vorwürfen türkischer Oppositioneller und damit unglaubwürdig. Es geht aber nicht nur um die Solidarität für eine Einzelperson, die ohne Zweifel immer notwendig und richtig ist. Vielmehr noch, es geht darum aktiv für die Werte zu verteidigen, die unser Land ausmachen. Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Kontroversität dürfen nicht verhandelbar sein. Nicht einmal, wenn ein für Deutschland wichtiger Pakt auf dem Spiel steht.

Der türkische Botschafter wurde bereits einbestellt, Merkel hat ein für sie deutliches Statement abgegeben. Das sind gute und richtige Schritte. Doch dabei darf man es nicht belassen. Mein Appell wäre, solange diplomatischen Druck auszuüben, bis Yücel wieder in Freiheit ist. Ob Erdogan für die Abschaffung der türkischen Demokratie bei uns werben darf, sollte zumindest Gegenstand von Diskussionen sein. Besonders unter den gegebenen Umständen. Denn Meinungsfreiheit und Demokratie zu benutzen, um diese abzuschaffen, widerspricht demokratischen Grundsätzen.

Wahl zwischen demokratischen Idealen und politischem Pragmatismus

Es ist an uns Solidarität zu zeigen, aber auch die Bundesregierung muss weiterhin handeln. Es sind entscheidende Momente, die viel über den Zustand unserer Bundesregierung aussagen. Es kann und darf nicht sein, dass man der Freiheit beraubt wird, weil man seine Meinung kundgibt. Weder in Deutschland, der Türkei oder sonstwo. Freilich hat man nicht überall die Macht dies umzusetzen. Aber dort, wo man Einfluss hat, muss der Kampf für die Meinungsfreiheit gefochten werden. Zumindest dann, wenn man wirklich daran glaubt. Jetzt wird sich zeigen, ob die Bundesregierung wirklich an Meinungs- und Pressefreiheit glaubt und sie als Ideale verteidigt oder ob sie politischen Pragmatismus, wichtige Deals aufrecht zu erhalten, über demokratische Grundwerte stellt.