Politischer Opportunismus
Politiker, seit jeher ein Schimpfwort. Und nicht, dass dies nicht auch irgendwo eine Grundlage hätte. Schließlich scheint es kaum Idealisten zu geben, niemand der nach Herz und gutem Gewissen handelt. Es geht um Karrieren, persönliche Schicksale, reiner Eigennutz. Das sind Vorwürfe harscher Art, aber gänzlich falsch sind sie ganz sicher nicht. Nun gut, aber warum ist das so? Man könnte damit argumentieren, dass Politiker einer Berufssparte angehören, deren moralische Verpflichtung weit größer ist, als die des durchschnittlichen Arbeitnehmers. Vielleicht so groß, dass ein Mensch ihr kaum nachkommen bzw. gewachsen sein kann. Aber nein, das ist zu einfach. Schließlich weiß jeder, worauf ein Leben als Politiker zusteuert.
Als Demokrat, der die Macht bei der Allgemeinheit sieht, sehe ich auch die Verantwortung der Gesellschaft und seiner Politik in der Allgemeinheit. Was anderes tut ein Politiker denn als Stimmungen im Volk auszunutzen? Die Macht geht von uns aus, die Politik reagiert. Wer gewählt werden will, wer es zu etwas bringen will, der muss auf Meinungstrends eingehen, gesellschaftliche Debatten und deren Verläufe verfolgen und schauen, dass er das sagt, was die größte potentielle Wählergruppe hören will. Idealismus und eigene Ideen haben da wenig Platz. Problematisch ist außerdem, dass der Wähler Nachhaltigkeit mit größter Missachtung bestraft. Alles muss sofort, deswegen wird’s auch nicht besser.
Bestes Beispiel ist die aktuelle Flüchtlingspolitik. Frau Merkel, die ich persönliche lange Zeit für die menschliche Gestalt des Opportunismus gehalten habe, handelt nach eigenen Überzeugungen, ohne Eigennutz und nach klaren moralischen Vorsätzen. Ginge es ihr um ihre Karriere, hätte sie schon längst umgeschwenkt. Und kaum jemand hätte es ihr zum Vorwurf gemacht. Aber sie hat nicht umgeschwenkt und bleibt ihrer humanistischen Linie treu. Ich glaube ich stehe nicht allein dar, wenn ich sage, dass mich dies überrascht hat. Interessant ist es jetzt, was das für Auswirkungen für die Politikerin Merkel hat. Sie verliert massiv an Zuspruch. Selten hat jemand aus der Politik so drastisch an Sympathien verloren. Und auch die SPD, die diesen Kurs stetig mitgetragen hat, leidet unter anderem daran
Doch sollte es nicht eigentlich heißen: Endlich eine Politikerin, die wirklich für das einsteht, was immer kommuniziert wird. Sollte sie das nicht beliebt machen? Sollte das den Politikverdruss nicht mindern?
Leider nicht. Denn Politikverdruss ist neben Wasser das wichtigste Grundelement des deutschen Daseins. Anstatt steigender Beliebtheit, ist Merkel nun bei denjenigen zu einer Art Antichrist aufgestiegen, die dauerhafte Empörung mit politischer Meinung verwechseln. Und nicht nur bei denen. Auch bei Leuten, die kein Mangel an Intelligenz sondern höchstens an Empathie haben, verliert sie an Stimmen. Na klar kann man diskutieren, ob alles immer glücklich war, wie es gelaufen ist.
Aber behalten wir das große Ganze im Auge. Endlich eine Vertreterin aus einer Berufssparte, der man stets Opportunismus vorwirft, welche aber ganz und gar nicht opportunistisch handelt, sondern nach moralischen Grundsätzen. Doch man dankt es ihr mit sinkender Beliebtheit, mit Missachtung und mit offenem Hass. Die Vertreter anderer europäischer Staaten hingegen steigern ihre Beliebtheit, indem sie Vorurteile aufgreifen, sie verstärken und diese ausnutzen, um eigene Umfragewerte in ungeahnte Höhen steigen zu lassen. Bequemer war es niemals durch Nichtstun mehr Stimmen zu generieren. Man möchte es unverfälschten Opprtunismus nennen. Grenzen schließen und sich abschotten. Was das wohl für langfristige Folgen hätte. Vollkommen egal. Hauptsache es passiert was und das bitte gestern. Die Flüchtlingskrise als Chance zu begreifen, das stößt auf Ablehnung. Besonders eben, wenn man Nachhaltigkeit für die Erfindung eines verrückten Geistes hält.
Was lernt nun der ambitionierte Jungpolitiker daraus? Möchte man es zu etwas bringen, dann wirf den eigenen Idealismus über Bord, denn er wird einer Karriere immer im Weg stehen. Tue nicht das, was du für richtig hälst, sondern das, was die Beliebtheit steigert. Diese beiden Sachen sind leider viel zu selten das Gleiche. Ironisch ist aber: Die, die Merkel momentan verfluchen, sind auch jene, die sich dann beschweren über die blöden Politiker, diese Fähnchen im Wind. Letztenendes geht es also nicht darum, politisch irgendetwas zu verbessern. Nein. Nur darum, seinen eigenen Politikverdruss in aller Herzhaftigkeit ausleben zu können. Oder anders gesagt, es geht nicht um die Allgemeinheit, sondern nur um das eigene Ego. Ach Mensch, es ist zum Verzweifeln.