Orgasmisches Verständnis

Die Sache mit dem Verständnis. Sie ist schon eigenartig. Eigenartig insofern, dass sie Erkenntnis voraussetzt. Das ist ein Problem. Erkenntnisgewinn ist vergleichbar mit einem Orgasmus. Großartig, aber, zumindest von einem Teil der Menschheit, oft auch unecht. Deswegen eher eine falsche, unehrliche Sache. Auch ein Gedanke fasst sich unabhängig davon, ob er einer Erkenntnis entspringt. Aber immer denkt man dem sei so. Einer Idee wird zu schnell zugesagt, einem Ursprung zu entstammen. Oft aber entsteht er einfach nur seiner selbst willen. Bezogen auf das Gleichnis mit dem Orgasmus: Wenn eine unehrliche oder zu empathische Frau ihrem Partner zuliebe so tut, als ob, dann entfremdet sich der eigentliche Sinn eines Orgasmus von seiner Bestimmung. Er existiert nur um seine Existenz nachzuweisen, ohne dabei wirklich zu existieren. In diesem Fall dafür, dass sich der Partner nicht zu schlecht fühlt. Doch manchmal wäre es wahrscheinlich besser, wenn man die harte Realität zuschlagen lässt. Was nämlich sonst folgt, ist ein Trott, eine Anfolge von Wiederholungen und zunehmender Frustrationen. Denn die Existenz eines Orgasmus dient einem Zweck. So auch der Gedanke. Er existiert nicht nur seiner selbst wegen. Seine Daseinsberechtigung beruht einzig und allein auf dem Erkenntnisgewinn, der Grundstock und Anlass für die Entstehung eines Gedanken. Wer etwas neu erkennt, womöglich eine Offenbarung hat, der kann seine Gedanken und Ideen verbessern. Die Folge wird Verständnis sein. Verständnis für vergangene Positionen, für Relativität. Unverständnis hingegen denen gegenüber, die sich keine Mühe machen. Die sich einigeln, schreiben ohne Scham und Zweifel. Zuerst steht die Erkenntnis, dann der Gedanke, die Idee. Wer ein schon sein Weltbild hat, der versucht es zu verteidigen. Das aber schließt jede Form von neuer Erkenntnis aus. Denn jedes Weltbild ist immer falsch. Es gibt kein absolutes Richtig. Wer nur verteidigt und nichts erfährt, der kann kein Verständnis aufbringen für andere Meinungen. Je tiefer ich mich in die Diskussionsschlachten begebe, für desto wichtiger halte ich gegenseitiges Verständnis und für desto unmöglicher halte ich die Art, andere in generellem Maßstab abzuurteilen.

Hass als Absicht

Hass ist ein abscheuliches, aber auch ein verständliches Wesen. Niemand ist gänzlich frei davon. Jeder kennt sein hässliches Antlitz. Er ist verführerisch und zerstörerisch. Bietet im ersten Moment Absolution, um im nächsten Augenblick nichts als Leere zu hinterlassen. In dieser Leere versteckt er sich, verankert sich, ernährt sich von unserer Dummheit und fehlenden Konsequenz.

Im Moment beobachte ich eine starke Polarisierung bezüglich der Diskussion über Zuwanderung und Islam. Wir müssen aufpassen uns nicht zu verlieren in dummer Angst. Die Angst, die der IS provozieren will. Er will die europäische Gesellschaft spalten, gegen Religionen aufhetzen und Angst vor Flüchtlingen erzeugen. Wir sollen uns abschotten und den Islam als schreckliche Religion brandmarken, so eine Spaltung nicht nur innerhalb Europas, sondern auch gegenüber aller Menschen des Nahen Ostens schaffen. Hass soll die Folge sein. Denn nur mit Hass geht Spaltung einher. Ein Leichtes für den IS aus solchen Gegebenheiten heraus zu wachsen. Die Spaltung wird forciert von vielen Menschen, nicht nur der politisch rechten Ecke. Auch auf der anderen Seite übt man sich in Pauschalitäten. Doch niemals hat eine Beleidigung eine dumme Person klüger gemacht. Paradoxer Weise sind jedoch gerade diejenigen, die am meisten gegen den Islam wettern, eben jene, die dem IS am meisten in die Hände spielen. Wenn ich Verschwörungstheoretiker wäre und würde „Cui bono“, wie es typisch ist, als einziges Mittel der Beweisführung akzeptieren, dann wäre meine Vermutung, der IS hat Pegida und die AfD geschaffen. Das tue ich natürlich nicht, den Irrsinn ist jedem Menschen so reichlich in die Wiege gelegt, dass es keiner Verschwörungen bedarf, um diesen Wahnsinn entstehen zu lassen. Eine Spaltung dürfen wir nicht zulassen. Das heißt, dass wir wieder aufeinander zugehen müssen, ganz gleich, wie groß die Unterschiede auch sind. Versöhnlich miteinander umgehen und Sachlichkeit walten lassen. Zoffen ist ein Muss, aber immer mit einem winzigen Rest Respekt. Wenn das unmöglich scheint, dann muss der Anstand das letzte Mittel der Wahl sein. Aber niemals darf Hass, in keiner Weise, der Ratgeber sein. Auch wenn es zuweilen schwer fällt. Denn die größte Gefahr für Extreme ist Einigkeit, Respekt und der Zusammenhalt. Die größte Gefahr für den Frieden ist die Spaltung.
Natürlich alles reine Vermutung, aber man darf nicht den Fehler machen, den IS zu unterschätzen. Und gleichermaßen dürfen wir nicht den Fehler machen, uns selbst zu überschätzen.

Zweifel

In einer Zeit in der viele ihre Überzeugungen vor sich her tragen, als seien es Weis- und Wahrheiten, will ich eine Lanze für den Zweifel brechen und sagen: Bitte zweifelt mehr.

 

Nicht ein Mensch dieser Erde
Darf sich erdreisten
Eines Teiles Teil zu sein
Und dabei nicht zu zweifeln

Leider trotzdessen
Giert das Wesen
Nach genau eben dem
Diesem einfachen Leben

Ein Mensch zu sein
Bedeutet nicht
Dem zu folgen
Was ein jener spricht

Vielmehr macht uns aus
Unser Zweifeln am Tun
Das immer Neue
Dabei niemals zu ruh’n

Doch beginnt es zu gären
Das Verlangen nach mehr
Wird es erschweren
Die Reise zu dir

Dieses Mehr möchte zeichnen
Den einfachen Pfad
Doch es wird nicht gereichen
Folge nicht seinem Rat

Wir kennen uns nicht
Das ist doch ganz gewiss
Niemand weiß genau
Wer er denn wirklich is’

Niemand von uns
Wird es jemals erfahren
Dafür müssten wir schon sein
Unsere eigenen Ahnen

Selbst sie würden sagen
Weil sie viel gelebt
Du musst es nun wagen
Auch wenn die Antwort ewiglich über dir schwebt

Einfachkeit entsagt
Dem Wahrhaftigen
Das Wahrhaftige
Entsagt der Einfachkeit

Also sei mutig und trau dich
Folge nicht einem Reiter
Geh einen eigenen Weg
Und mach Zweifel zu einem steten Begleiter

Denn so ist der Zweifel
Der Wahrheit Elixier
Eine Sünde ihn nicht
Zu tragen in dir

© Mit leiser Stimme

Leid in Relation

Leid darf man nicht relativieren. Aber man muss es in Relationen setzen. Wer eine Prüfung nicht besteht oder bei wem die Heizung im Winter für eine Woche ausfällt, der leidet. Denkt man sich zumindest. Weil es allen anderen besser geht. Schließlich war ich der Einzige unter den Freunden, der die Prüfung nicht bestanden hat. So ein Mist! Erst recht, wenn die Heizung ausfällt. Man friert sich zu Tode. Schneller als man denkt, sinkt die Temperatur auf einen gerade noch zweistelligen Wert. Nun heißt es in der WG der Freundin Unterschlupf zu finden. Zur Not auch bei den Eltern oder den Freunden. Dann gilt es dem Vermieter zu vermitteln, er möge sich um die Funktionstüchtigkeit der Heizung kümmern. So viel Stress! Und das alles gerade in der Prüfungsphase. Womit auch das Scheitern zu begründen wäre. Dann noch die Sache mit dem Sport. Eigentlich spiele ich im Winter einmal die Woche Hallenfussball in einer Sporthalle drei Straßen weiter. Seit einigen Wochen ist das nicht mehr möglich. Flüchtlinge wohnen jetzt darin, nicht für immer aber vorübergehend. Also geht’s an den Kleiderschrank, Handschuhe gesucht, langärmligen Pulli angezogen und rauf auf den Rasen. Ganz schön kalt muss ich sagen. Aber wer nicht nur faul herumsteht, dem wird’s schnell wärmer. Wir spielen ja auch nicht viel länger als ne Stunde. Nach dem Sport auf dem Heimweg denke ich mir, als der Schweiß immer kälter wird, dass das jetzt bloß eine Stunde war, aber trotzdem verdammt kalt. Natürlich hätte man mit den Flüchtlingen auch tauschen können, zumindest gedanklich. Aber das hieße, sie wären die ganze Zeit der Kälte ausgesetzt. Ja also, das heißt dann wiederum, wenn ich eine Stunde in der Kälte am Ball brilliere statt in der wohligen Wärme, dann helfe ich dabei, dass andere Menschen diese Kälte nicht dauerhaft erleiden müssen. Plötzlich trotze ich der Kälte wie ein Held. Schließlich kann ich mich mit der Abscheu vor dauerhafter Kälte identifizieren, habe ich mich doch bei einer 10°C kalten Wohnung schon auf Kälteflucht begeben. Zum Glück kenne ich nette Menschen, die mich nicht nur dann aufnehmen, wenn in meiner Wohnung jeden Tag ein Molotow Cocktail landet. Zuhause fröstelt es mich ein wenig. Ab unter die heiße Dusche. Ich werde traurig, weil ich merke, wie gut ich es habe und wie sehr ich mich dennoch immer wieder beschwere. Gleich aus der Dusche gibt’s lecker Nudeln mit Schafskäse. Verdammt geil, vor allem mit gerösteten Pinienkernen dazu. Ich leide keinen Hunger, obwohl ich finanziell weit unter dem deutschem Durchschnitt liege. Ich weiß zwar nicht genau, in welcher Größeordnung sich der Durchschnitt bewegt, aber ich liege mit ziemlicher Sicherheit darunter. Gesättigt und kaputt vom Sport bin ich am Abend auf der Couch neben meiner ehemaligen Asylgeberin nur noch eines, und zwar dankbar. Darüber, wie gut ich es habe, weil ich unter allen Orten auf dieser Welt, an denen ein Mensch geboren werden kann, gerade an dem Ort geboren bin, an dem ich sogar noch als einkommensschwacher Mitbürger Schafskäse und geröstete Pinienkerne unter meine Nudeln mischen kann. Selbstverständlich nicht jeden Tag, hin und wieder aber kann ich mir das erlauben. Außerdem bin ein bisschen stolz darauf damit meinen Beitrag leisten zu können, denen zu helfen, die gerade den Negativ-Sechser gewonnen haben. Und das mit einem Opfer, welches eigentlich keines ist. Mittlerweile sehe ich es eher als Umstellung. Vielleicht werde ich noch ein größeres Opfer auf mich nehmen. Dann aber, das habe ich daraus gelernt, werde ich es so betrachten: Was ich einbuße, das wird für andere um ein Vielfaches gewonnen sein. Und eines weiß ich mit Gewissheit, ich werde trotzdem noch dankbar und glücklich sein, solange es keinen wirklichen Grund gibt, es nicht zu sein.

Ein kurze Stellungnahme zur Flüchtlingskrise

In der hitzigen Diskussion um die Aufnahme von Flüchtlingen, die gefühlsmäßig von Tag zu Tag heißer wird, gilt es einen kühlen Kopf zu bewahren. Egal von welcher Seite aus, aber eine Argumentationkette baut in der Flüchtlingsdebatte häufig nicht mehr rein auf Logik auf. Vielmehr beobachte ich ein anderes und weitaus klassischeres Argumentationsmuster. Und zwar versucht man einen Diskutanten anderer Meinung nach allen Regeln der Kunst und gegen jede Regel des Anstands zu diskreditieren. Wer mit eines anderen Argument nicht einverstanden ist, versucht denjenigen in moralischer oder weltlicher Sicht soweit herabzustufen, dass man „feststellt“, dieser jemand, er ist zu dumm, zu naiv, fremdgesteuert oder einfach scheisse. Was dann wiederum heißt: Prima! Dann muss ich mich mit dem Argument ja auch nicht auseinander setzen. Denn wer doof ist, dessen Argument kann gar nicht wert sein, gehört zu werden. Es werden immer mehr Wörter ausgetauscht, aber es wird immer weniger diskutiert. Vermehrt wird Gebrauch gemacht von repektlosen Schlagwörtern, die den jeweils anderen in fachlichen oder moralischen Misskredit bringen soll. Beispiele sind unter anderem „Asyltouristenfans“, „Teddybärenwerfer“, „Braunes Pack“ oder „Bahnhofsklatscher“. Auch das Wort „Nazi“ wird viel zu leichtfertig verwendet in Anbetracht der historischen Schwere dieses Vorwurfs. Wir müssen damit aufhören. Vermeintliche Schwächen des Gegenüber dürfen keine Rolle in einer politischen Diskussion spielen, persönliche Anspielungen sollten immer unterlassen werden. In einer Demokratie hat jeder die Chance verdient sein Wort zu sprechen, völlig unabhängig von allen anderen Umständen. Vorausgesetzt einem gewissen Mindestmaß an Sachlichkeit und Menschlichkeit wird Dienst getan.

In dem, was von Diskussionskultur rund um die Flüchtlingsfrage noch übrig ist, erscheint mir ein Schema immer wieder aufzutauchen. Viele derer, die eine humanitäre Katastrophe in Deutschland kurz bevor sehen, suchen die Schuld bei Angela Merkel, die sich für eine Willkommenskultur ausgesprochen hat. Ihr wird vorgeworfen, am Leid der Flüchtlinge schuldig zu sein. Ich hingegen glaube nicht, dass die Willkommenskultur am Leid dieser Menschen die Hauptschuld trägt. Wären die Flüchtlinge nicht hier, dann würde es ihnen mindestens genauso schlecht gehen, nur halt woanders. Der einzige Unterschied ist: Wir sehen sie hier. In einem Flüchtlingscamp in Griechenland oder im Libanon wäre das eben nicht der Fall. Aber besser gehen würde es ihnen nicht. Die humanitäre Lage ist dort teilweise katastrophal. Die Perspektiven in diesen ebenfalls von anderen Krisen gebeutelten Ländern sind minimal. Sie kommen her, weil es die einzige Chance auf Perpektive ist. Die meisten Menschen in Deutschland würden, wenn sie sich mal ganz ehrlich reflektieren, nicht viel anders handeln.

Auch wenn Deutschland Kapazitäten hat, die ohne jeden Zweifel irgendwann ausgereizt sein werden, glaube ich nicht daran, dass diese Kapazitätsgrenzen schon erreicht sind. Vergleicht man die Situation in Deutschland mit der im Libanon als Beispiel, dann tun sich Welten auf. Natürlich will ich damit nicht fordern, Deutschland solle 40 Millionen Flüchtlinge aufnehmen und damit prozentual so viele Menschen, wie der Libanon das tut. Dennoch muss man international die Verhältnisse im Blick behalten. Selbstverständlich aber kann Deutschland mit Schweden, Österreich und, so paradox es klingt, Ungarn nicht der einzige Verbund an Ländern sein, der mehr oder weniger freiwillig Verantwortung übernimmt in Europa. So, wie die europäische Union Italien und Griechenland lange Zeit mit Flüchtlingen aus Afrika im Stich ließ, so lassen uns viele Länder Europas jetzt auch im Stich. Denn auch wenn ich glaube, dass die Kapazitäten Deutschland noch nicht überschritten sind, kann die Flüchtlingsfrage in Europa keine weitgehend deutsche bleiben. Es braucht eine europäische Lösung, und das so schnell wie möglich. Gemeinsam hat Europa die Kraft diese Krise zu überstehen. Solange das aber noch nicht der Fall ist, ist die Unterstützung und Zusammenarbeit aller Menschen in Deutschland absolut notwendig. Denn meine ganz persönliche Meinung ist: Wer das Recht auf Asyl hat, der soll es auch bekommen. Das sage ich nicht aus einem rein rechtlichen Aspekt, sondern basierend auf meiner Moral.

Von meiner Moral ausgehend will ich jetzt noch etwas anderes sagen. Ich bin tief erschüttert über das Ausmaß fehlender Menschlichkeit, welches mir jeden Tag begegnet. Nicht nur von einer Person wurde formuliert, dass es ohnehin zu viele Menschen auf dieser Erde gäbe. Die Konsequenz daraus kann sich jeder selbst erschließen. Wir debattieren sehr häufig von einem ganz hohen Ross herunter. Statt in Demut übt man sich in Arroganz. Niemand hat es sich erarbeitet und verdient als ein deutscher Staatsbürger geboren zu sein. Unser privilegierter und durch Freiheit bestimmter Status basiert einzig und allein auf dem Glück genau hier, an diesem Ort, das Licht der Welt erblickt zu haben. Die Leistungen unserer Vorfahren beim Aufbau des Landes waren ohne Zweifel großartig. Aber es sind nicht unsere Leistungen, auf sie können wir uns nicht berufen. Jetzt können wir uns beweisen und uns der Herausforderung unserer Zeit stellen.
Abendländische, christliche Werte, sie machen unser Land aus. In Zeiten wie diesen wird einem das lebhaft vor Augen geführt. Darauf dürfen wir stolz sein. Darauf müssen wir aufbauen. Aber ich halte es für unabdingbar, dass wir uns bewusst machen, wofür diese Werte stehen. Sie stehen für Menschlichkeit, für Liebe und für die Unterstützung der Schwachen. Nicht für Vorurteil und Eigennutz. Denn obgleich viele so tun, als würden sie die abendländischen Maxime verteidigen, sind sie es häufig selbst, die die größte Gefahr für den meschenfreundlichen Ansatz darstellen. Ich meine damit nicht mal Gewalt, die selbstverständlich allem entgegensteht, wofür wir stehen sollten. Ich meine die Abkehr von der Menschlichkeit. Wem etwas an den abendländischen Werten liegt, wer sie wahrlich nicht verlieren will, der muss sie leben, weil sonst nur Worthülsen übrig bleiben.