Man muss es so sehen, wie es ist: Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen sind eine Zäsur. Dass eine AfD unter dem Rechtsextremen Björn Höcke, dessen Gefährlichkeit kaum abschätzbar ist, in Thüringen knapp 33% Prozent holt und damit rund 10% vor der CDU bleibt, ist mehr als nur besorgniserregend.

Auch SPD, CDU, Grüne, FDP; alle sind sich einig – eine Katastrophe! Doch, was nun aus diesen Ergebnissen gemacht wird, da hört die Einigkeit dann wieder auf. Alle suchen sie Erklärungen, die sich irgendwie mit der eigenen Parteilinie decken. Grüne geben CDU und FDP die Schuld dafür, dass die Narrative der Rechten nicht konsequent genug bekämpft worden sind. Die SPD spricht unter anderem von „Kontaktschuld“ und klagt die Koalitionspartner auf Bundesebene – FDP und Grüne – an. Die FDP gibt sich kleinlaut und findet wie schon die ganze Regierungszeit kaum mehr statt. Nur die CDU lächelt zufrieden, obwohl auch ihre Grundlage hierfür begrenzt ist.

Erklärungen wie ein McDonalds Besuch

Solche Erklärungen nach einem solch katastrophalen Wahlausgang sind das, was mich mindestens genau aufschrecken lässt. Sind sie doch nichts anderes als ein BigMac Menü gegen den Hunger zu essen. Kurzfristiges Völlegefühl, das aber dann bald von einem merkwürdigen Mix aus neuerlichem Hunger und Magengrummeln abgelöst wird. Keiner dieser Erklärungen vermag nämlich wirklich an den Kern des Problems zu kommen. Die Fragen sind: Wie konnte es soweit kommen? Wie kann man diesen Trend stoppen? Und warum wählten die Menschen, wie sie es taten?

Selbstgefällige Amtworten werden bei jenen Fragen nicht mehr weiterhelfen. Auch Isolation dieser Wähler, indem man sie beschimpft und ihnen Demokratieverständnis oder Intelligenz abspricht, wäre eine der nächsten Automatismen, die sich in den letzten 10 Jahren komischerweise eingebürgert haben. Doch auch das hilft nicht weiter. Es gilt nun sich aus dieser selbstgewählten Hilflosigkeit der schlechten Antworten zu befreien. Um das zu tun, muss man nun zunächst einmal gar keine Antworten mehr geben. Nein. Niemand erwartet momentan Antworten.

Ehrliches Ergründen statt selbstgefällige Antworten

Was die Politik jetzt tun muss, ist zu verstehen. Zu lernen. Denn nur, wenn man selbst versteht und ergründet hat, bei welchen Positionen man Wähler im großen Maßstab offensichtlich nicht mehr repräsentiert, erst dann kann man den eigenen Kurs korrigieren und die Menschen wieder abholen. Ein Weg also, an dessen Anfang Selbstreflektion steht. Ein ehrliches Ergründen. Anders, so denke ich, wird sich dieser übergeordnete Trend, der nicht allein den Osten umfasst, nicht aufhalten lassen.

Doch irgendetwas sagt mir, dass es zu dieser Selbstreflektion nicht kommen wird. Und auch nicht zu einer daraus folgenden Kurskorrektur. Hört man sich beispielsweise Ricarda Lang an, wie sie einerseits CDU und FDP Schuld für das schlechte Abschneiden der Grünen zuspricht, dann aber meint, das Migrationspolitik keine übergeordnete Rolle gespielt hat, dann weiß man nicht mehr so genau, ob es sich einfach nur um stumpfe Parteiverordnung oder persönliche Wirklichkeitsentfremdung handelt.

Verliert sich die Fähigkeit zur Anpassung in der blinden Überzeugung?

Letztlich auch egal, denn das Ergebnis ist das gleiche: Eine Partei, die keine Chance auf Erneuerung haben wird. Denn es gibt noch einen Schritt vor der Reflektion des Selbst – eine möglichst objektive Wahrnehmung der Realität. Wenn nicht einmal das gelingt, dann wird keine erfolgreiche Reflektion und erst recht keine Kurskorrektur stattfinden können. Die Ideologie frisst in diesem Sinne die Fähigkeit zur Anpassung auf.

Noch besorgter schaue ich jedoch auf die SPD, die mit einer scheinbar harmlosen Phrase tief blicken lässt. Lars Klingbeil und Saskia Esken wurden nicht müde zu erklären, dass man den Leuten die eigene Politik „nur besser erklären“ müsse. Ihr Heil suchen sie also in einem angeblichen Kommunikationsproblem. Ein Problem, das einfach zu beheben wäre. Ein solcher Schluss ist in vielerlei Hinsicht eine reine Katastrophe.

Politik erklären als Antwort auf die eigene Ratlosigkeit

Denn zunächst einmal zeigt die SPD, wie weit sie von einem echten Verstehen entfernt ist. Wer ein Kommunikationsproblem lösen muss, hat kein inhaltliches Problem – eher noch eine Stärke. Diese Aussage impliziert, dass die Arbeit bislang gut war; man dies nur nicht ausreichend nach Außen darstellen konnte. Ein grundsätzliches Problem würde die Partei in dieser Sichtweise aber nicht haben. Doch wie wir alle Wissen: der erste Schritt zur Besserung ist das Eingeständnis an sich selbst, dass man ein Problem hat. Dieser Schritt scheint noch immer nicht getan.

Eine andere Dimension dieser Aussage ist ein damit zusammenhängendes Grundsatzproblem, das nicht nur die SPD hat: Die Geringschätzung des Wählers. Wenn nämlich die SPD davon spricht dem Wähler besser erklären zu wollen, heißt das auch, dass der Wähler nicht richtig versteht. Ein erklärender Part also und ein Gegenüber, dem erklärt werden muss. Dies unterstellt, dass der Erklärende es besser weiß als die Person, der etwas erklärt werden muss. Es ist eine Phrase, die unbedeutend klingt, aber doch irgendwie repräsentativ für das derzeitige Problem ist. Eine solche Attitüde ist nicht nur von oben herab, sondern zeigt auch mit welcher Sturheit einige Politiker an ihren Vorstellungen keinen Zweifel zulassen wollen.

Die Mehrheit weiß es besser – Vom Ende der Belehrungs-Demokratie

Demokratie ist nämlich nicht die Kunst des Beibringens von Weisheiten, sondern der Kompromiss aller. Die Mehrheit entwickelt das beste Verständnis darüber, was notwendig und richtig ist. Politiker bilden die dafür erforderlichen Positionen repräsentativ ab. Und wenn sie es nicht mehr tun, dann werden sie abgewählt. Es gibt nicht die eine Kaste, die alles weiß und dessen Aufgabe nur darin besteht, alle darin zu belehren. Doch in den Aussagen von Esken und Klingbeil klingt es genau danach, als würden sie ihre Rolle exakt so wahrnehmen – die Möglichkeit des Irrens ist in diesem Fall ausgeschlossen.

So ist auch jetzt bereits abzusehen – sollte es nicht zu einer Revolte innerhalb der Partei oder der Ampel kommen – dass es keine maßgeblichen Veränderungen geben wird. Denn wie gesagt, am Anfang steht das harte Eingeständnis sich in einigen Punkten geirrt zu haben. Es wäre genau diese Selbstreflektion, die nun erforderlich ist. Wo irrt man sich? Wo irrt die SPD? Benötigt es hier und da vielleicht sogar eine Kurskorrektur?

Wie Darwin schon sagte: Anpassen oder verschwinden

Eine Partei, die nicht bereit ist sich ergebnisoffen zu hinterfragen und einfach nur „besser erklären“ will, eigenes Versagen aber in den Positionen und politischer Grundsatzarbeit ausschließt, wird irgendwann vollkommen in die politische Bedeutungslosigkeit verschwinden.

Dabei würde es eine starke Sozialdemokratische Kraft nach vergangenem Muster heute dringend brauchen. Es sind große Zweifel erlaubt, dass die SPD sich jemals wieder dahin entwickeln kann.

Gerade, wenn sie sich dem allerersten Schritt verweigert: Dem harten und ehrlichen Hinterfragen.

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