Nicht erst seit gestern wird in Deutschland über die Rolle des Islam gesprochen. Mehr als über jede andere Religion. Doch spätestens mit der Zunahme der groben Gewaltverbrechen, die im Namen des Islamismus geschehen sind, stehen wir vor einem regelrechten Glaubenskampf. Mit religiösen Fanatikern in einer Ecke und jenen, die durch Verallgemeinerung politisches Kapital schlagen wollen in der anderen. Zeit für ein paar Gedanken, die den Grundsatz einer menschlichen aber auch realistischen Debatte bilden können. Und eine Forderung, die aus diesen Gedanken erwächst.

Keine Frage des Glaubens: Der Islam gehört zu Deutschland

Fangen wir zunächst mit einer umstrittenen Selbstverständlichkeit an: Der Islam gehört zu Deutschland. Und das ganz ohne Zweifel. Warum? In Deutschland leben ungefähr 5,5 Millionen Muslime. Rund die Hälfte davon sind deutsche Staatsangehörige. Sie bilden damit die drittgrößte Religionsgemeinschaft nach den Katholiken und Protestanten, wenn man die größte Gruppe der Konfessionslosen außen vor lässt. Mit ihnen ist auch ihr Glaube Teil unserer Gesellschaft. Zu sagen, dass der Islam nicht Teil Deutschlands ist, wäre in etwa so als würde man auch den Muslimen absprechen dazuzugehören und nimmt ihnen auch jede Perspektive. Nein, der Islam hat wie jede andere Religion ihren Platz in Deutschland.

So wie das der Wahrheit entspricht, müssen wir gleichsam auch konstatieren, dass über keine Religion soviel diskutiert wird wie über den Islam. Weder das Christentum, der Buddhismus oder das Judentum verursachen in so regelmäßigem Abstand Debatten über das Für und Wider einer Religion als Teil der Gesellschaft. Was uns zur nächsten umstrittenen Selbstverständlichkeit führt: Der Islam ist die unangepassteste Religion in Deutschland. Denn der Grund, warum in Deutschland und auch anderen Teilen der Welt so viel über den Islam gesprochen wird, ist kein böser Antrieb im Hintergrund, gesellschaftlich immanenter Hass oder strukturelle Islamophobie, wie es in islam-radikalen Kreisen manchmal heißt. Der Grund ist ein anderer: Keine andere Religion hat momentan so sehr den Drang eine Gesellschaft auch politisch zu prägen.

Zwei Dimensionen des Islam

Wie einige Islamwissenschaftler es beschreiben gibt es zwei Dimensionen des Islam. Es gibt einmal die Dimension der Religion, die genauso helfend, wirkmächtig, friedlich und angepasst ist, wie jede andere Religion. Die andere Dimension ist die politische, die den Anspruch hat eine Gesellschaft nach ihren Maßstäben hin zu verändern. Und genau hier liegt das große Problem; das ungelöste Dilemma des Islam. Dass es viele Gläubige gibt, die genauso friedlich und respektvoll sind, wie alle anderen. Dass aber wiederum andere den Glauben über alles andere stellen und den Anspruch haben, dass ihre Religion auch gesellschaftlich bestimmend ist oder wird. Zwei eigentlich fundamental unterschiedliche Sichtweisen. Aber da irgendwie alles als „Islam“ bezeichnet wird, gibt es hier viel Potential zur Verwirrung und zum Missverständnis.

Jetzt höre ich schon den Satz, der bei solchen Gedanken immer ausgesprochen wird. „Moment einmal, junger Mann. DEN Islam gibt es gar nicht!1!“. Ja, stimmt. Aber vielleicht ist genau das (!) das Problem, das wir haben. Dass diejenigen, die den Islam als politisch prägend auffassen wollen genauso angeben zur Gemeinschaft der Muslime zu gehören. Es gibt da vielleicht noch die Trennlinie zwischen Islamist und Muslim. Aber Islamisten und islamistische Influencer, die erschreckend viele junge Menschen erreichen, bezeichnen sich als Muslime. So erscheinen die Grenzen zwischen moderat und radikal oder Islamist und Muslim manchmal schwammig. Auch weil sich der Missionierungsdrang der Radikalen nicht nur an Nicht-Muslime – genannt kafir, pl. kuffar – richtet, sondern häufig auch jene Muslime zu maßregeln versucht, die ihren Glauben freier und moderner ausleben. Die den Islam zwar als Wertekatalog nutzen, ihn aber nicht höher halten als die Gesetzgebung des Landes, in dem sie leben.

Zeit für die große Reformation des Islam

Und genau eine solche Auslegung der Religion hat ihren Raum in einer Gesellschaft, die allen Glaubensrichtungen ihren Platz einräumt. Aber um es klar zu sagen: Die Dimension, die missionieren will und die – wenn sie denn könnte – sofort muslimische Rechtssprechung und damit die Sharia einführen wollen würde, kann keinen Platz in einer Demokratie haben. Eines der großen Probleme des Islam ist deshalb, dass es keine offizielle Lossagung der friedlichen Mehrheit gab. Keine Reformation, die sich die Deutungshoheit ihrer Religion und ihrer Auslegung darüber zurückholt und damit die Radikalen isoliert. Dabei ist es genau das, was jetzt notwendig wäre. Eine weltweite Bewegung, die zum Ausdruck bringt, wie sehr die meisten Muslime von den Radikalen abgestoßen sind. Denn hinter dem Deutungs-Salat des Islam können sich Islamisten wunderbar verstecken. Weil am Schluss gibt es DEN Islam ja nicht.

Deswegen ist es jetzt an der Zeit DEN Islam des Westens zu definieren, abzugrenzen und damit endgültig zu erschaffen. Damit auch Erdogan, seine Handlanger und andere Anhänger islamistischer Ideen keine Möglichkeiten haben den friedlichen Islam als trojanisches Pferd ihrer radikalen Ideen zu nutzen. Zeit also für eine Reformation dessen, was gar nicht mehr erarbeitet, sondern eigentlich nur noch definiert werden muss. Was es aber braucht, ist eine kritische Masse an Gläubigen, die mitmacht. Es gibt Menschen wie Seyran Ates, die mutig genau dafür bereits kämpfen. Aber weil Islamisten nichts mehr fürchten als solche modernen Muslime, werden sie mit allen Mitteln bekämpft. Aus diesem Grund werden Ates und andere Reformatoren auch bis aufs Blut angegangen und müssen sogar um ihr Leben fürchten. Doch das müsste nicht sein. Alles, was es braucht wäre diese kritische Masse, die sich für diesen neuen und klar definiert modernen Islam ausspricht, dann würde auch Einschüchterung nicht mehr helfen.

Nährboden für einen niemals endenden Konflikt

Es mag viel verlangt sein und anmaßend klingen. Aber es wird über kurz oder lang keinen anderen Weg als den Weg der Reformation und der klaren Definition geben. Anders werden die schier endlosen Debatten nicht aufhören und auch der Rechtfertigungsdruck, dem die friedlichen Muslime immer wieder ausgesetzt sind, wird nicht geringer werden. Denn wenn man mal auf die Menschen sieht – ob man das für falsch oder richtig hält sei mal dahingestellt – die den Islam als solches ablehnen und die Religion am liebsten ganz aus dem Land verbannen würden. Wenn es keine klare Trennlinie im Islam gibt, keine reformierte Religion, dann können sich auch jene Gegensprecher immer auf den radikalen Teil und die politische Dimension in ihrer Kritik berufen. Sicherlich sind sie in ihrer Kritik dann häufig unfair der friedlichen Mehrheit gegenüber, weil sie ja den Islam allgemein ablehnen. Wenn diese friedliche Mehrheit sich allerdings nicht abspaltet und lossagt, werden diese Kritiker immer einen validen Punkt haben.

Und all das ist ein Problem. Ein Islam, der so gar nicht definiert werden kann, gibt sowohl den nicht gutmeinenden Kritikern eine niemals endende Angriffsfläche und bietet den Islamisten auf der anderen Seite eine wunderbare Möglichkeit in Grauzonen zu verschwinden. Ein perfekter Nährboden also für einen Konflikt, der niemals enden wird. Es ist nicht absehbar, wie dieser immer irgendwie schwelende Konflikt jemals ein Ende finden kann, solange der Islam immer genau das sein kann, was jeder Einzelne in ihm sehen will.

Den Extremisten die Grundlage entziehen

Es ist die Zeit für einen Islam, dessen Friedlichkeit man nicht immer erklären muss. Der sich einreiht in die anderen Religionen und keinen Anspruch hat sich auszubreiten. Der weder Islamisten noch Rechtsextremisten die Angriffsfläche oder Ausflucht gibt, um den eigenen Extremismus zu rechtfertigen oder zu verbergen. Und eine echte Alternative ist für alle Muslime, die ihre friedliche Religion nicht immer rechtfertigen wollen. Und ein Zeichen an alle Extremisten, die den Glauben des Friedens viel zu häufig missbrauchen. Eine solch reformierte Religion wäre unglaublich mächtig und hätte das Potential die Radikalen zu isolieren. Und wenn die Extremisten isoliert und ihres Nährbodens beraubt sind, dann wird die Welt ein Stück weit friedlicher.

Keine Ahnung, wer den ersten Schritt macht oder wie die Reformation vonstatten gehen wird; klar ist nur, dass es sie benötigt und sie deshalb auch unweigerlich kommen muss.

PS: Als Schlusswort das Wort der Lyrik. Ein Gedicht über religiöse Reform, das vielleicht wirkmächtiger ist als jeder Text, den ich sonst schreiben könnte.

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