Alle versuchen wir eine positive Kraft zu sein. Wir wollen Dinge zum Positiven verändern und einen Beitrag leisten, der unsere Gesellschaft voranbringt. Der nicht nur uns, sondern auch anderen hilft. In einer Demokratie ist dieser Wunsch elementar und gar erforderlich. Gerade im politischen wird deutlich wie ernsthaft die Leute versuchen den richtigen Weg zu finden und mit eigenen Ideen immer bestrebt sind konstruktiv diesen mitzugestalten. Zwar gibt durchaus sehr unterschiedliche Ideen, welchen Weg wir beschreiten sollen. Einige legen mehr wert auf eine starke Wirtschaft als Rückgrat eines starken Sozialstaates, andere legen den größten Fokus auf Nachhaltigkeit. Es gibt Streitigkeiten über die richtige Steuerpolitik, über Verkehr und all die anderen brennenden Fragen.
Was uns jedoch (fast) alle eint aber gerne vergessen bzw. ignoriert wird: Wir sind mit vollem Herz dabei, wir denken so ernsthaft nach, wie wir können und haben alle den Antrieb Dinge zu verbessern. Nicht nur für uns, sondern für alle gleichermaßen. Da ist es egal, ob wir links, liberal oder konservativ sind. Das trifft auf uns alle zu. Zwar unterstellen wir politischen Gegnern gerne Eigennutz und attestieren uns selbst großmütig den einzig echten moralischen Ansatz. Schließlich fühlen wir uns damit besser, allerdings ist das Quatsch. Moralisch sind wir alle gleich und keiner über den anderen erhaben. Eine Binsenweisheit für die einen. Eine empörende Behauptung für all jene, die ihr politisches Weltbild auf moralischer Überlegenheit aufbauen.
Wenn wir aber akzeptieren, dass andere mit dem gleichen Ansatz politisch aktiv sind wie wir selbst, demnach also den Antrieb haben Dinge positiv zu verändern, so sollte das dazu führen, dass wir voreinander Respekt und Anstand haben. Schließlich ist das politische damit gleichsam auch etwas sehr persönliches. Die politische Meinung ist Ausdruck der Person im Ganzen. Das sollte uns demütig machen. Respekt und Anstand. Große Begriffe, viel verwendet. Aber was bedeutet es sich anständig zu verhalten?
Ganz einfach: Zuhören. Die Kunst der Könige. Wer einem anderen ernstlich zuhört, ohne sich bevor oder während des Sprechens bereits eine Meinung gebildet zu haben, der zeigt die größte Form der demokratischen Moral. Zuhören ist die Grundessenz unserer Demokratie. Denn wenn wir ehrlich sind, jeder einzelne von uns ist viel zu dumm, um alleine auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, wie wir den besten Weg in die Zukunft finden. Deshalb ist es so enorm wichtig zuzuhören. Nicht nur uns selbst oder jenen, die in leicht abgewandelter Form im Prinzip dasselbe wie wir sagen. Sondern jenen, die auch etwas anderes sagen. Zwar läuft man dann durchaus Gefahr sich zu ärgern, man wird sich aber, ob man will oder nicht, inhaltlich verbessern. Denn wenn wir wirklich zuhören, dem Gegenüber damit Respekt zollen, nur dann kann es zu einem inhaltlichen Austausch kommen. Nichts könnte für den Fortbestand unserer Gesellschaft essentieller sein als diese Art der Kommunikation.
Aus diesem Grunde bin ich doch recht enttäuscht und genervt ob der gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, die uns immer weiter weg führt von einem so wichtigen inhaltlichen Austausch von Ideen und Vorstellungen. Wir polarisieren und heroisieren uns. Soll heißen, dass wir dem Gegenüber immer weniger Gehör schenken, uns dabei als Held sehen und dies noch als Erfolg feiern. Ob das Demonstrationen gegen Teilnehmer einer Podiumsdiskussion sind, verhinderte Lesungen oder ob wir von Journalisten mit großer Reichweite reden, die auf Twitter blocken als gäbe es kein Morgen. Das alles ist Ausdruck einer antidemokratischen Entwicklung. Zwar sehen sich die Agierenden häufig als Helden der Demokratie, in Wahrheit sind sie das genaue Gegenteil. Es gilt mittlerweile als Erfolg jemand anderen nicht mehr zu Wort kommen zu lassen, sie zum Schweigen zu bringen und ihnen nicht zuzuhören. Das alles nennt sich in zynischer Art und Weise dann auch noch „Haltung“. Man müsse klare Kante zeigen gegen alle die Feinde der Demokratie. So wie es die Wikinger einst mit ihrem Schildwall taten. Nur, bei einer Art Haltung, die zum Ignorieren führt, kann eben auch kein Meinungsaustausch stattfinden.
Nicht nur, dass dieser Begriff missbräuchlich verwendet wird, denn Haltung äußert sich nicht in einer Heroisierung der eigenen Bequemlichkeit. Diese Art zu agieren ist zutiefst undemokratisch. Denn sie widerspricht dem tiefsten Kern der freiheitlichen Demokratie. Dem Zuhören, dem Austausch und dem dadurch errungenen Kompromiss. Wenn wir nicht mehr zuhören, gibt es auch keinen Kompromiss mehr. Und ohne Kompromiss, also der Entscheidung, der alle etwas abgewinnen können, wird auch die Qualität der Entscheidung deutlich abnehmen. Nur durch Kritik, gegenseitiges Überprüfen, durch die Vereinigung verschiedenster Aspekte, gewinnt ein Entschluss an Qualität. Niemals wird nur einzelner Mensch oder eine einzelne politische Bewegung dazu in der Lage sein dauerhaft qualitative Entscheidungen zu treffen.
Hört man das Zuhören auf, so bricht das ganze Konstrukt der Demokratie zusammen. Nur im gegenseitigen Austausch ist gewährleistet, dass auch wirklich alle einen Beitrag leisten können und dürfen. Wer anderen nicht zuhört, nicht verstehen will, dass andere auch gehört werden sollen und das alles mit Haltung begründet, der trägt aktiv zur Polarisierung unserer Gesellschaft bei und hilft damit nur einer politischen Gruppe: Den Extremisten. Jenen also, die stets und ständig daran arbeiten, die Meinungspluralität, das Rückgrat einer großen Demokratie, zu bekämpfen.
Aus diesem Grund ist es so enorm wichtig, man kann der Bedeutung eigentlich kaum gerecht werden, sich im Respekt voreinander ernstlich zuzuhören. Die größte, moralischste und höchste Form des demokratischen Handelns.