In Deutschland hat sich eine unheilige Koalition zusammengefunden. Angeführt von Wagenknecht und ihrem Bündnis, unterstützt von AfD und größeren Teilen der SPD, hat Putin eine breite Front von Freunden in Deutschland, die nicht müde werden sein Narrativ zu verbreiten. Und man fragt sich. Wie kann es sein, dass bei einem Krieg, der so eindeutig – es also einen Aggressor gibt, der die territoriale Integrität eines kleineren Landes nicht akzeptiert und das Opfer daraufhin mit der ganzen Kraft seiner militärischen Möglichkeiten angreift – dass dieser Aggressor so viel Fürsprache in unserem Land erfahren kann? Wie?
Ich muss zugeben, da fällt die Welt eines Menschen auseinander, der stets der festen Überzeugung war, dass die Fehler der Vergangenheit dazu führen müssen, gleiche Fehler nicht noch einmal zu begehen. Und der daran glaubte, dass die europäische Befreiung von Nazi-Deutschland als immer leuchtendes Beispiel dienen würde, wenn es um die Bewertung dessen geht, wie man mit Imperialisten umzugehen hat. Doch irgendwo habe ich mich geirrt. Trotz allem, was in der Vergangenheit geschah, trotz allem, was jetzt gerade in ähnlicher Manier geschieht und allen Lehren der Vergangenheit, die man nun auf die Gegenwart anwenden könnte, hat der imperalistische Aggressor ein wortmächtiges Bündnis an Fürsprechern. Deren Wirken nur auf eine Sache abzielt: Die Verteidigungsfähigkeit des Opfers zu schwächen.
Eine Form von Traumabewältigung
Es stellt sich hierbei ein weitere Frage. Warum findet das Wort des Aggressors überhaupt einen solch großen Resonanzraum? Über die Motive der Fürsprecher wie Wagenknecht, Stegner oder Höcke braucht man nicht diskutieren. Politische Individuen sind zumeist genauso beeinfluss- wie austauschbar. Ihr Wort wäre nichts wert, wenn es nicht viele Menschen gäbe, die diesem zustimmen. Interessant ist demnach ausschließlich, wie es möglich ist, dass das Narrativ des Aggressors, der einziger Grund für den Bruch des Friedens und den Beginn des Krieges ist, Zustimmung finden kann, wenn doch eigentlich alle Frieden wollen. Sollte man dann nicht dem Wort desjenigen, der angegriffen wird mehr Gehör schenken und die Worte des Angreifers als nichtig abtun?
Abseits klassischer Motive von Propaganda, die vom Verwischen von Grenzen und Wirklichkeiten lebt – bei der man anderen stets vorwirft das vorzuhaben, was man in Wahrheit selbst im Schilde führt; wo man den eigenen Frieden mittels eines Krieges ja nur mit der Welt teilen will oder eben einen Angriffskrieg als Verteidigung deklariert, gibt es noch einen anderen Faktor. Und zwar geht es um ein nicht aufgearbeitetes Trauma und den Versuch von Verdrängung. An dessen Ende der deutsche Pazifismus steht. Viele Deutsche können noch immer nicht glauben, dass wir fähig waren jene unvorstellbaren Verbrechen zu begehen. Die Realität allein reicht schon für ein Trauma der Nachfolgegeneration, die sich des Schreckens der Geschehnisse sehr bewusst war. Und deshalb nach einem Weg gesucht hat, damit umzugehen.
Wichtig ist nur: Ich habe nicht angefangen
Und was macht man, wenn man versucht etwas zu verarbeiten? Man sucht sich einen Anker, einen festen Glaubenssatz, der einem das Gefühl der Sicherheit gibt. Und die Gewissheit, dass solange ich an diesem Anker festhalte, ich sicherstellen kann, dass ich selbst nie den gleichen Fehler selbst mache. Und was liegt da näher als jedweden Krieg abzulehnen und pazifistisch zu werden. Indem ich sage, dass Krieg immer schlecht ist und die Anwendung von Waffen immer Gewalt ist, kann ich zu 100% garantieren, dass ich nie wieder der Aggressor sein werde. Dass die Taten meiner Vorfahren auf keinen Fall wiederholt werden. Zumindest nicht von mir. Das Ziel ist in diesem Zusammenhang nicht, dass es keine Opfer mehr gibt, sondern nur, dass ich nicht mehr der Täter bin. Diese Art von Pazisfismus ist also eine sehr ich-bezogene Form der Traumabewältigung.
Krieg ist immer schlecht. Das ist die Prämisse des Pazifismus. Was zunächst nicht wie ein dummer Satz klingt, wird aber genau das, wenn man ihn zu wörtlich nimmt. Denkt man ihn in traumabewältigender Weise eindimensional und ignoriert jeden Ursprung, die Täter-Opfer-Realität, jeden Kontext und sieht nur darauf, dass Krieg schlecht ist, dann verschwimmt alles andere. Dann sieht man nur, dass Krieg herrscht und will nur eines sicherstellen: Ich selbst habe ihn nicht begonnen. Und ich schließe mich auch nicht denen an, die ihn fortführen wollen. Ob zur Verteidigung oder zum Angriff. Für mich gleich, denn meine Hände wasche ich in Unschuld.
Im Pazifismus gibt es weder Täter noch Opfer
Und genau das ist das große Problem bei dieser Art von Pazifismus. Dass er keinen Unterschied macht zwischen Täter und Opfer, Angreifer und Verteidiger. Die einzige Trennlinie des Pazifismus ist, wer schießt und wer nicht. Schüsse zur Verteidigung sind genauso schlecht wie die der Angreifer. Und wenn der Aggressor in Aussicht stellt, dass Frieden herrscht, sobald das Opfer sich ergeben hat, dann richtet sich der Vorwurf der Pazifisten automatisch an das Opfer, weil die Verteidigung den Krieg in die Länge zieht. Was auch der Grund ist, warum die russische Kriegspropaganda ironischerweise so viel mit dem Begriff des Friedens hantiert. Wo doch Übernahme durch Krieg das Ziel ist. Weil die Russen diesen ungelösten Konflikt genau richtig erkannt haben und ihn direkt damit adessieren.
Wir müssen also feststellen, dass der Pazifismus Deutschlands keine Lehre aus dem 2. WK ist, sondern ein daraus entstandener Schutzreflex. Und dieser hat mehr als nur die Dimension des „Ich will nie wieder Täter sein“. In einer Traumabewältigung gibt es noch einen weiteren Automatismus: Man will die Geschehnisse in ihrer Größe und Bedeutung relativieren. Auch wenn diese Dimension des Pazifismus noch unbewusster ist als die zuerst beschriebene und vermutlich energisch verneint werden würde, spielt auch sie eine Rolle. Denn in einer Denkart, in der man eben nicht zwischen Täter und Opfer unterscheidet, sondern Gut und Böse nach Schießen oder nicht Schießen unterscheidet, spricht sich ein Volk, das früher einmal eindeutig Täter und Aggressor war und besiegt werden musste, irgendwie auch frei von der eigenen Schuld. Weil geschossen haben die Alliierten ja auch.
Eine Solidarisierung des einstigen Tätervolkes mit dem heutigen
Es ist also weiter gedacht so, dass Pazifismus die Existenz von „Gut“ und Böse“ mitunter negiert oder zumindest die Grenzen zu verwischen versucht. Somit ist auch zu erklären, warum der Angreifer im Falle des Russland-Krieges noch so viele Sympathien genießt. Weil Russland in den Augen genauso wenig per se böse ist, wie wir es in der Vergangenheit waren. Wenn unsere Verbrechen irgendwo relativiert werden können, dann die von Russland doch erst recht. Eine verquere Solidarisierung des einstigen Tätervolkes mit dem jetzigen Tätervolk. Auch wenn sich das niemals jemand, der in diesem Denkmuster gefangen ist, eingestehen würde.
Hinzu kommt eben, dass Russland in seiner Kriegspropaganda das Ende des Krieges in Aussicht stellt. Sogar den Frieden anbietet. Wenn alle russischen Bedingungen erfüllt sind, die Ukraine also die staatlich souveräne Existenz aufgegeben hat. Aber in einer Welt, in der alle Kontexte verschwommen sind, gelten solche Details als unerheblich. Schließlich hätte der Krieg längst beendet sein können. Und das ist das, was zählt. Das einzige Problem ist das Kriegsopfer, das sich wehrt und deren Unterstützer im Westen.
Relevant ist diesbezüglich ebenfalls, dass Russlands Kriegspropaganda stets darum bemüht ist die Aussichtslosigkeit im Kampf gegen Russland zu betonen. Denn ist klar, dass von diesem Part kein Ende in Aussicht steht, dann bleibt nur die Bitte an den Gegenpart, dessen Situation deswegen als aussichtlos dargestellt wird. So kommen die Pazifisten erst gar nicht auf die Idee Forderungen an Putin stellen. Deswegen ist Wagenknecht immer sehr darum bemüht den Kampf gegen Russland als ungewinnbar darzustellen und die Niederlage der Ukraine nur als eine Frage der Zeit. So ist die Ukraine schuldig für die Fortführung des Krieges. Und nicht Russland.
Das Ziel ist die Grenze zwischen Gut und Böse zu verwischen
Und das trotz des Faktes, dass der Krieg morgen zuende wäre, würde sich Russland auf die Grenzen von vor 2021 zurückziehen. Man kann konstatieren, dass Russland mit diesem einfachen und doch irgendwie auch raffinierten Schachzug die Umkehr der eigentlich eindeutigen Realität gelingt. Zumindest bei einigen. Es gibt keine eindeutigen Schuldigen mehr, alle sind irgendwie verantwortlich. Wir sind keinen Deut besser. Und Russland moralisch auch nicht schlechter zu bewerten als der „Wertewesten“, wie der Verbund demokratischer Länder oft ironisch genannt wird. Die Schwächung von innen heraus funktioniert und so trägt dieses Narrativ dazu bei, dass Hilfe für die Ukraine verlangsamt wird und dass Deutschland nicht mit einer geeinten Stimme spricht.
Verlassen wir aber nun endlich die Welt der Konturlosigkeit, der fehlenden Zusammenhänge und der unverarbeiteten Komplexe und kehren zurück in tatsächliche Welt. In der es gut und böse gibt und in der man feststellen kann, dass die Armee des Aggressors auf dem Territorium des Opfers wütet und auch nicht gedenkt dieses wieder zu verlassen. Eine Forderung nach Frieden also nur an den Aggressor gerichtet sein darf; und an die Unterstützer die Wehrfähigkeit des Opfers so gut es geht zu stärken. Wir sehen dann außerdem, wie perfide das Friedens-Narrativ des Angreifers ist. Dass also das Land, das den Krieg begonnen hat und ihn wild entschlossen bis zum bitteren Ende fortführen will, viel mit dem Begriff des Friedens hantiert.
Ein vergifteter Friedensbegriff, der uns in den Krieg führt
Der Frieden, über den Wagenknecht und Co immer sprechen, ist kein Frieden im Sinne von „Wir leben in Akzeptanz miteinander und nebeneinander“, sondern ein Frieden im Sinne von „Sobald ihr euch nicht mehr wehrt und unseren Befehlen gehorcht, hören wir auf euch vor aller Öffentlichkeit umzubringen“. Diesen Unterschied im Friedensbegriff muss man im Kontext der Propaganda-Narrative verstehen, um erkennen zu können, dass mit diesem angeblichen Frieden genau das Gegenteil erreicht würde. Und zwar noch mehr Krieg. Eine grenzenlose Eskalation.
Singuliert man den Krieg gegen die Ukraine nicht, sondern versteht darüberhinaus noch die Ambitionen Russlands ein neues Großrussischen Reich zu erschaffen, dann wird klar, dass die Ukraine nicht der Schlussakkord sein wird. Nein. Es wird weitere Kriege geben. Gegen Moldawien, Georgien und irgendwann wird das Baltikum angegriffen. Und immer wieder werden wir Friedens-Forderungen von Wagenknecht und den anderen Putinknechten nach Frieden hören. Sie werden immer an das Opfer gerichtet sein und die de facto Kapitulation verlangen. Jedes mal singuliert und ohne den Kontext zum dann beendeten Krieg gegen die Ukraine herzustellen. Und immer in der Hoffnung, dass es das jetzt wirklich war und der Krieg beendet ist.
Nur anhaltender Frieden ist echter Frieden – alles andere Kriegstreiberei
So machen sich jene, die sich immer geschworen haben nie wieder Täter zu sein, in blindem Eifer zum Handlanger und Verbündeten der neuen Täter. Diejenigen, die Krieg einfach beendet haben wollen – egal wie – sind jene, die dazu beitragen, dass er nie endet und immer weiter eskaliert. Nur weil sie nicht verstehen wollen, dass das Nazi-Regime damals nur besiegt werden konnte, weil sich weder in Großbritannien noch in den USA ihresgleichen durchsetzen konnten. Am Ende haben jene, die noch zwischen gut und böse unterscheiden konnten, die Welt vom Bösen befreit.
Auf die jetzige Situation in der Ukraine bezogen, macht es sehr wohl einen Unterschied, über was für einen Frieden wir reden. Über einen unmittelbaren Waffenstillstand, bei dem das Opfer den Forderungen des Aggressors nachgibt und so den Weg freimacht für den nächsten Krieg in zwei Jahren. Oder über einen endgültigen Frieden, bei dem sichergestellt ist, dass der Aggressor nie wieder ein anderes Land angreift. Das musste im zweiten Weltkrieg sichergestellt werden und das gleiche gilt nun auch für Russland.
Alles andere führt zur Stärkung des Aggressors, damit zu einer weiteren Eskalation und ist deshalb nur eine Form von Kriegstreiberei.




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