Parallelen zwischen Rechts und Links

Der G20-Gipfel ist jetzt vorbei und wurde von den Protesten dagegen leider deutlich überschattet. Jetzt, am Tag danach, beginnt die Verarbeitung der Geschehnisse. Und ich muss sagen, dass ich sehr irritiert bin. Viel ist passiert, viel ist zerstört worden. Autos wurden angezündet, Geschäfte vollkommen zerstört und geplündert. Doch das Schlimmste sind die vielen verletzten Menschen, viele davon in den Uniformen der Polizei. Sie wurden mit Stahlkugeln beschossen, auf sie wurden Molotow-Cocktails, Pflastersteine und so einiges mehr geworfen. Insgesamt lässt sich nur eine katastrophale Bilanz ziehen. Als zum Teil kriegsähnlich wurden die Zustände beschrieben. Eine Bewertung dieser Ereignisse sollte deshalb ziemlich eindeutig ausfallen, so dachte ich zumindest.

 Herr über die eigenen Hände

Jedoch: Statt klarer Statements gegen diese Gewalt musste ich heute auch so einige (nicht wenige) Relativierungen, Verschwörungstheorien und Whataboutismus lesen. Das finde schwach, sehr schwach. Soetwas kenne ich sonst vornehmlich von Rechten, die rechte Gewalt auf die gleiche Art verteidigen.

 

So musste ich unter anderem lesen, dass die Gewalttäter gar nicht Schuld wären, wenn sie Gewalt ausübten. Schließlich wäre das nur eine Reaktion auf die weltweite Gewalt der Kapitalisten. Von rechter Seite heißt es ebenfalls, dass Neonazis gar keine Schuld haben, wenn sie beispielweise Flüchtlingsheime anzünden. Sie sähen sich gezwungen „wegen Merkels Flüchtlingspolitik!!1!1!!“. Dazu sei gesagt: Ein Jeder ist Herr über die eigenen Hände. Wer Gewalt ausübt, der trägt dafür ganz allein die Verantwortung und sonst niemand.

Relativierungen und Whataboutimus

Weiterhin wird oftmals die Vermutung geäußert, dass sich Rechte unter die Gewalttäter gemischt hätten. Das mag sein, Beweise stehen noch aus. Allerdings, auch wenn das richtig ist, was ich mir durchaus auch vorstellen kann, ändert das nichts an der Tatsache, dass die allermeisten Linksextremisten waren. Auch hier erkenne ich Parallelen zur oftmals verwendeten Argumentationslogik der Rechten. Diese behaupten ebenfalls häufig, um das Beispiel brennender Flüchtlingsheime weiter zu verwenden, dass Linke (Flase Flag) oder Flüchtlinge (Fake-News um den Pudding) selbst für die Feuer verantwortlich wären. Meines Erachtens ist das eine sehr relativierende Art zu argumentieren.

 

Ein weiteres Problem ist der zurecht gescholtene Whataboutismus, der sonst eigentlich das Lieblingsinstrument der Rechten ist. Bei jeder Art rechter Gewalt liest man fast schon reflexartig „Aber was ist mit linker Gewalt!“. Gleiches gilt aber jetzt auch für die Aufarbeitung der Gewalttäter bei den G20-Protesten. Plötzlich heißt es „Was ist mit brennenden Flüchtlingsheimen!!“. Gewalt ist schlimm und Whataboutismus ist immer nur ein Ablenkungsversuch. Es muss möglich sein über ein Thema zu reden ohne dass Vorwürfe gemacht werden, man rede nicht genug über andere Themen.

Die Abkopplung der Gewalt von ihrem Ursprung

Ein Letztes ist die Abkopplung der politischen Basis der Proteste. Es heißt, dass die Gewalttäter nicht politisch seien, sondern ausschließlich Freude an Gewalt hätten. Und ja, Freude an Gewalt ist sicherlich ein Faktor. Ich halte es aber für falsch so zu tun, als wären das apolitische Proteste und apolitische Gewalttäter gewesen. Das ist einfach nicht richtig. Es handelte sich halt überwiegend um Linksextremisten, die aufgrund ihrer politischen Meinung sich dazu brechtigt sahen, Gewalt auszuüben. So zu tun, als hätte die politische Ausrichtung dabei keine Rolle gespielt ist schon dahingehend haltlos, dass führende Persönlichkeiten wie Beuth oder die Interventionistische Linke die gewaltsamen Proteste als Erfolg bezeichneten. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag der „Welt“ ergibt zudem, dass 51,6 Prozent der Anhänger der Linken die Aufstände für legitim halten.

 

Linke sollten sich von Linksextremisten allerdings nicht bedroht sehen. Der aller größte Teil der Linken hat nichts mit Extremismus am Hut. Und niemand, der noch bei Sinnen ist, würde das Gegenteil behaupten. Vielmehr beziehen die Linken eine sehr wertvolle und wichtige Position im demokratischen Spektrum. Deshalb sollte es eigentlich keine Umstände machen Linksextremismus als Problem anzuerkennen, um dann an Lösungen arbeiten zu können. Man darf nicht den Fehler machen Gewalttaten von ihrer Basis abzukoppeln. In Bezug auf politische Gewalttaten könnte man sonst auch das gleiche Argument für rechte Gewalt verwenden. Folgend würde das dann dazu führen müssen die Kategorie der politischen Gewalt komplett zu streichen. Das kann nicht Teil einer Lösung für Extremismus in jeglicher Form sein.

 Jede Form des Extremismus ist ein gesellschaftliches Problem

Sicherlich, und das sei noch dazu gesagt, sind die Formen des Extremismus in ihrer Natur oft sehr unterschiedlich. Doch ein Vergleich, der dazu dient, irgendwas zu relativieren, ist fehl am Platz. Auch ich halte rechten Extremismus für potentiell gefährlicher als linken Extremismus. Allerdings darf das dann nicht bedeuten, dass Linksextremismus kein Problem darstellt, das eine Lösung erfoderlich macht. Jede Art des politischen oder religiösen Extremismus ist ein gesellschaftliches Problem. Es ist kein Teil der Lösung, sondern ausschließlich Teil des Problems, wenn man das nicht anerkennt.

Italien als Bildnis über den Zustand der EU

Es geschieht schon wieder. Wir, die Europäische Gemeinschaft, lassen Italien im Stich. Italien liegt mit seinen vorgelagerten Inseln am nächsten an der Küste Lybiens, von wo die meisten Menschen den Weg über das Mittelmeer antreten. Vor der großen Flüchtlingsbewegung über die Landwege war das nicht anders. Nun sind die Wege über den Balkan geschlossen, was dafür sorgt, dass die meisten Menschen über die See kommen. Es scheint erneut allein Italiens Problem zu sein. Zumindest in den Gedanken der anderen Staaten Europas.

 

Immer mehr Menschen kommen auf Lampedusa an, Italien bittet um Hilfe, seit Jahren. Wir hören nicht hin. Was ich nicht so recht verstehen mag ist, dass von europäischer Solidarität die Rede ist. Das von allen Seiten. Gerade Deutschland hat viel darüber gesprochen und über mangelnde Solidarität geklagt. Was, die letzten zwei Jahre betreffend, auch richtig sein mag. Aber man darf dabei nicht aus den Augen verlieren, dass die Situation rund um die Flüchtlinge in Deutschland nicht geplante Solidarität war. Vielmehr hat man Flüchtlinge die langen Jahre vor 2015, in denen bereits viele Flüchtlinge in Italien landeten, aus dem deutschen Bewusstsein verdrängt. Schließlich gab es das Dublin-Abkommen, ein auf Papier geschriebener Anti-Solidarpakt.

 

Erst als man auf die Solidarität der Anderen angewiesen war, verwies man auf den Mangel eben dessen. Das finde ich falsch. Genauso falsch, wie Italien wiederholend mit der immer weiter wachsenden Anzahl ankommender Menschen allein zu lassen. Doch genau das passiert gerade. Statt sich der Aufgabe anzunehmen, werden Scheindiskussionen geführt über die NGO’s und über den de facto nicht möglichen Schutz der Außengrenzen. Nichts weiter als sehr oberflächliche Themen, die dem Thema Flucht nicht im Ansatz gerecht werden. Wir wissen, dass jeden Tag Menschen ankommen, deren Versorgung nicht allein italienische Aufgabe sein darf. Das ist der Fakt, das ist die Ausgangslage. Oberflächliches „Wie, Wo und Warum“ sind absolut fehl am Platz.

 

Allem Anschein nach sehen das die anderen Länder jedoch ebenso. „Hauptsache nicht zu unserem Problem machen.“, scheint das Motto zu sein. Wahlen gewinnt man damit nämlich nicht. Solange das so ist, kann man von Europa nicht als Wertegemeinschaft sprechen. Im Moment sind alle nur auf den unmittelbaren Nutzen aus. Dabei führen in einer echten Gemeinschaft kleine Opfer langfristig zu einem großen Nutzen, für jedes einzelne Mitglied einer solchen Gemeinschaft.  Eine Wertegemeinschaft, die den Begriff der gegenseitigen Solidarität exkludiert ist alles, aber keine Wertegemeinschaft. Um in Zukunft bestehen zu können, muss Europa aber genau das werden, eine Wertegemeinschaft.