Ukraine: Warum ein erzwungener „Frieden“ Krieg bedeuten würde

Tag 300. Vor dreihundert Tagen sind die Russen in die Ukraine eingefallen, in der Absicht einen Genozid zu begehen und die ukrainische Identität auszulöschen. Das ist ihnen nicht geglückt. Dank eines unglaublichen Kampfes einer ganzen Nation, die lieber sterben will als wieder unter dem Joch eines Diktators leben zu müssen. Und auch dank der Unterstützung des demokratischen Westens. Insbesondere die militärische Hilfe der USA ist ausschlaggebend für die sich abzeichnende militärische Niederlage Russlands.

Dass aus dem auf drei Tage ausgelegten Angriffs ein Krieg werden könnte, in dem Russland der Verlierer sein würde, hatte vor 300 Tagen noch niemand geglaubt. Lindner hatte, um ein mahnendes Beispiel zu nennen, dem damaligen Botschafter Melnyk gesagt, die Ukraine würde innerhalb kurzer Zeit fallen und Hilfe sein daher nicht mehr sinnvoll. Es sei zu spät. Lindner war nur einer von vielen. Die meisten Experten und Politiker waren sich eins. Die Ukraine wird fallen und man sollte sich lieber als später mit neuen Machtverhältnissen anfreunden. Eine Schande für Deutschland.

Politisches Versagen quer durch alle Parteien

Nicht allein, weil die politische Lage trotz einer Unmenge von Informationen vollkommen und kaum erklärlich falsch eingeschätzt wurde, sondern auch weil von Anfang rein opportunistisch gedacht und kommuniziert wurde. Der Gedanke man solle dem Opfer eines schlimmen Verbrechens helfen war im Land des industriellen Massenmords ganz weit weg. Und dabei machte es auch kaum einen Unterschied, ob wir auf die FDP, die Linken, die AfD oder auf die CDU schauen. Die ganze politische Landschaft hat kollektiv versagt. Von Haltung war hüben wie drüben nichts zu sehen.

Gut, das ist jetzt schon eine Weile her. Es sind mittlerweile 300 Tage vergangen. Dreihundert Tage der ständigen Angst um das Leben der Familie an der Front und zuhause. Dreihundert Tage, an dem täglich Drohnenangriffe dem eigenen Leben ein Ende setzen könnten. Dreihundert Tage, die jedem gezeigt haben, dass die Ukraine über kurz oder lang siegreich sein wird. Doch weiterhin gibt es viele Menschen, die so diskutieren, als ob die militärische Katastrophe, anders kann man die Situation Russlands nicht beschreiben, nicht geschehen sei.

Was Russland sich von einem Waffenstillstand erhofft

Ob nun in der Politik, in der Kunst oder wo auch immer, die sogenannten Friedensrufe verstummen einfach nicht. Gerufen wird nach einem Frieden, der keiner wäre. Nach einem Ende der Schüsse. Die Ukraine, so die Forderung, solle die von Russland besetzten Gebiete aufgeben und glücklich sein nicht das gesamte Land verloren zu haben. Man solle akzeptieren, dass die Ukrainer in diesen Gebieten umgebracht und unterdrückt werden, man solle akzeptieren, dass Russland damit belohnt würde. Weil der Krieg dann endlich vorbei wäre.

Doch leider ist die Welt nicht so einfach. Denn ein vorübergehendes Ende der Schusswechsel wäre das Gegenteil vom Frieden. Wir haben gelernt, dass Russland ideologische Ziele hat und nicht aufgeben wird, solange diese nicht erreicht worden sind. Russland hat jedes Versprechen und jeden Pakt, zu dem man Russland nicht explizit gezwungen hat, gebrochen. Russland lügt, Putin lügt. Jedes Mal. Es gibt dabei keine Ausnahmen. Wenn nun Russland davon spricht, man wolle Friedensverhandlungen führen, dann soll damit nicht der Frieden erreicht werden, man will eine Atempause, um sich neu aufzustellen, mehr Soldaten auszubilden, neue Munition zu beschaffen, um den Angriffskrieg dann später gestärkt und erholt fortzuführen.

Russlands Niederlage ist eine Frage der Zeit

Für Russland ist dies notwendig, weil die russische Armee, die am Verlieren ist, nicht nur demoralisiert ist, sondern auch endliche Ressourcen hat, die sich nach knapp 10 Monaten des Krieges zu erschöpfen scheinen. Da gleichsam die Ukraine permanent Nachschub vom Westen bekommt und darüber hinaus mehr Freiwillige für die Streitkräfte haben, als sie brauchen, ist eine russische Niederlage nur eine Frage der Zeit. Deswegen überrascht es nicht, dass Russland vermehrt auf scheinbare Friedensgespräche drängen will. Denn das Momentum schlägt klar für die Ukraine und nur eine Pause könnte die Kräfte wieder ins Gleichgewicht bringen.

Um das nicht geschehen zu lassen und diesen Krieg ein für alle Mal zu beenden, ist es von enormer Bedeutung jetzt weiterzumachen. Die Ukraine mit allem zu unterstützen, was es für eine Rückeroberung der besetzten Gebiete braucht. Wenn man nämlich die Ukraine jetzt zu einem Waffenstillstand zwingen würde, dann würde Russland stärken, die eigene Unterstützung unterminieren und letztlich den Krieg deutlich verlängern. Nur ein Sieg der Ukraine und damit die Niederlage Russlands wird den faschistischen und imperialistischen Bestrebungen ein Ende setzen.

Nur ein gewonnener Krieg bedeutet Frieden

So widersprüchlich das auch klingen mag, aber nur eine konsequente Fortführung der Unterstützung wird in der Ukraine und Europa für Frieden sorgen. Jeder noch so kleine Sieg Russlands wird die Gier und damit die Aggression weiter bestärken und echten Frieden verhindern. Ein erzwungener Frieden bedeutet Krieg. Nur ein gewonnener Krieg hingegen wird nachhaltig Frieden bringen. Besser, wir verstehen das, wenn es wirklich Frieden ist, den wir wollen.

 

4 Kommentare

  1. Prof. Dr Friedemann Brock · Dezember 20, 2022

    Das ist sehr undurchdacht. Werden die Russen zum Rückzug gezwungen auf die Stellungen vom Januar 2022, sind Verhandlungen der schnellste Weg zum Frieden. Wenn die Ukraine aber auch die Krim oder die beiden Ostrepubliken zurückholen will, so wird es ein endloser Konflikt.

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  2. god.fish · Januar 9, 2023

    Die weitgehende Untätigkeit der westlichen Demokratien nach dem verdeckten russischen Angriffskrieg im Jahr 2014 auf die Ukraine hat aller Wahrscheinlichkeit nach auch dazu geführt, dass Putin sich nun ermächtigt fühlte, am 24.2 2022 tatsächlich den offenen Vernichtungskrieg und den Überfall auf die Ukraine zu beginnen.
    Im Grunde muss das gesamte Staatsgebiet der Ukraine zurückerobert werden, einschließlich der Krim. Denn nur dann hat der Krieg für Russland keinen Vorteil gebracht. Sollte Russland aber irgendwelche ukrainischen Gebiete behalten, wird Russland dies sicherlich so interpretieren, dass Gewalt ein gangbarer und erfolgreicher Weg ist, um in Europa oder auch weltweit zu bekommen, was man will. Und Menschenleben sind Putin egal, mit Ausnahme seines eigenen, versteht sich.
    Sollte Russland aber in der Art und Weise mit irgendeinem Gewinn aus seinem Krieg herausgehen, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis weitere russische Angriffskriege in Europa folgen werden.

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    • Vorgärtnerin · Februar 17, 2023

      Natürlich müssen alle Gebiete rückerobert werden.
      Vladimir Klitschko hat es einem deutschen Journalisten mal so erklärt: „Was würden Sie machen, wenn ein Land in Europa einen Krieg mit Deutschland anfängt und Schleswig-Holstein besetzt — würden Sie um des Friedens Willen darauf verzichten? Niemals würden Sie da zustimmen!“
      Und so ist es mit der Krim und den angeblichen „Republiken“ Donezk und Luhansk.
      Landesgrenzen sind dafür da, geachtet zu werden.
      Und solange Putin die Grenzen vom 1.12.1990 (Datum der Unabhängigkeit von der Sowjetunion) nicht anerkennt und die ukrainische Tür von außen schließt, wird es keinen Frieden geben.
      Sonst greift Putin als nächstes Moldawien an und frisst Transnistrien auf, das in Prinzip russisch besetzt ist (was dort na-tür-lich! anders deklariert ist) oder Georgien oder worauf er sonst gerade Lust hat.

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