Die Kunst sich das Leben schwer zu machen

Diskussionen können schwer, erschöpfend und ärgerlich sein. Besonders wenn eine Person eine andere Meinung vertritt als man selbst. Da ist es eigentlich viel angenehmer mit Menschen zu debattieren, mit denen man eigentlich grundlegend einer Meinung ist. Man kann über kleine Details reden, einigt sich und bestätigt sich gegenseitig doch grundsätzlich richtig zu liegen. Perfekt. Und weil diese Art der Diskussion viel mehr Spaß macht und weniger Kraft raubt, ist es nur allzu verständlich, dass diese „Auseinandersetzung“ eher gesucht wird als der harte und vor allem inhaltliche Diskurs mit offenem Visier.

Deshalb sind viele bestrebt alles dafür zu tun, um es nicht zu einer solchen, ich würde sagen, echten Diskussion kommen zu lassen. Es wird diffamiert, unterstellt und vermeintliche Gegner müssen mit unzählichen Verleumdungen klarkommen. Neudeutsch würde man wohl vom Framing sprechen. Es wird also geframt, was das Zeug hält: Wer der Meinung XY ist, der ist automatisch eine XY Person und aus den Gründen XY nicht ernstzunehmen. Und was geschieht mit einer Person, die unmöglich ist? Genau, die Meinung der Person muss nicht ernst genommen werden. Wie praktisch.

Grenzen der Kategorisierung

Es erfolgt stets eine Kategorisierung anhand weniger Merkmale und/oder Aussagen, die man erfüllen muss, um einer Kategorie von Personen zugeordnet werden zu können, mit der man sich inhaltlich nicht auseinandersetzen muss. Beispiel: Jemand behauptet, die Erde sei ein Flachkörper und glaubt an Echsenmenschen, die unter uns leben und uns heimlich regieren. Klar, dass man mit diesen Menschen nicht ernstlich reden muss. Die Kategorie ist in diesem Fall relativ klar: Verschwörungtheoretiker. Jeder Versuch diesen Menschen Vernunft näherzubringen, wäre angesichts der ohnehin offensichtlichen Abwendung von Rationalitäten zu sehr großer Wahrscheinlichkeit verschwendete Energie. Des Weiteren dürfte auch klar sein, dass man unter keinen Umständen ihren Positionen auch nur annähernd etwas abgewinnen kann oder sich gar mit ihrer Hilfe selbst weiterentwickelt. Bei diesem Beispiel sind wir uns alle einig, das Prinzip der Kategorisierung potentieller Diskussionspartner funktioniert.

Allerdings ist dies nur der Fall, wenn es sich um so klar definierbaren Schwachsinn handelt. Dasselbe Prinzip kann ganz schnell zum Werkzeug der Extremisten werden. Nicht vieles in unserer Gesellschaft ist so klar und einfach definierbar wie solch himmelkreischender Unsinn. Ob es um Steuern geht, um Einwanderung, um Klimaschutz, darum wie wir mit der sich digitalisierenden Welt umgehen wollen oder was Kunstfreiheit und was Meinungsfreiheit ist. All das sind hochkomplexe Themen, die für Individuen, die wir nun mal alle sind, vermutlich zu komplex sind, als dass wir sie wirklich vollkommen verstehen können. Kategorisierungen diesbezüglich können folglich unter keinen Umständen so klar definiert werden, wie im oben aufgeführten Beispiel.

Die wahre Kunst des Diskutierens

Doch hier kommt die bereits umrissene Diskussionsfaulheit zum Tragen. Denn Kategorien und eine vorgefertigte Einordnung wessen Argumente ich überhaupt zu hören brauche und welche es zu ignorieren gilt, machen das Leben um vieles einfacher. Deshalb kategorisieren wir bei solch komplexen Themen genauso eindeutig wie bei den Verschwörungstheorien. Die Faulheit kooperiert hierbei zudem mit unserer Eitelkeit. Insgeheim ist ja jeder von uns der klügste Mensch, die anderen haben das einfach noch nicht verstanden. Aber das kommt noch. Was ich denke, ist demnach qualitativ hochwertig. Jedes gute Gegenargument rüttelt jedoch an diesem Selbstverstädnis und dieses zu überdenken ist anstregend. Am faul und eitel sein scheitern viele Diskussionen.

Die Kunst ist es sich all dem bewusst zu werden. Die viel zu einfachen Kategorien wahrzunehmen, die eigene Faulheit, die eigene Eitelkeit sehen. Sich dafür zu schämen und Besserung zu geloben. Denn all die Selbstverliebtheit hat keine Grundlage. Wir sind alle so dermaßen fehlbar, so unperfekt, dass eine Welt, die keine Fehler beim Gegenüber erlaubt, eigentlich ziemlich zynisch ist. Scharf definierte Kategorien sind aber genau das, Ausdruck von der Nicht-Akzeptanz des Gegenüber. Sie erlauben keine Abweichungen von der Norm. Fehler und unperfekte Meinungen sind Ausschlusskriterien. Sie sind der Todesstoß jeder Diskussion und im Prinzip auch das Ende persönlicher Weiterentwicklung. Eine Aussage, manchmal gar ein Wort reicht, um als Diskussionspartner auszuscheiden. Wir machen es uns einfach.

Ein Versuch die komplexe Welt ohne Anstrengung zu verstehen

Es liegt deswegen im ureigenen Interesse sich der Kategorien bewusst zu werden, sie auszuweiten, sie komplexer werden zu lassen, sie der Realität anzupassen. Und anderen ihre wenig perfekten Meinungen nicht zu krumm zu nehmen und selbst zu verstehen, wo ein anderer vielleicht schon einen Schritt weiter gedacht hat. Dass einfache Kategorien einer äußerst komplexen Welt unter keinen Umständen gerecht werden können, sollte eigentlich jedem Menschen klar sein.

#Omagate ist ein perfektes Beispiel dafür. Am Schluss wurde nur geframt, niemand hat mehr über das eigentliche Thema, die vorhandene oder nicht vorhandene Qualität der Satire, gesprochen. Es hab nur noch Kategorien: rechts, links, Freiheitskämpfer, Bedroher der Kunstfreiheit. Nur Kategorien und Gründe, warum man Menschen, die entsprechend zugeordnet werden konnten, nicht gehört werden müssen.

Sich selbst ehrlich zu hinterfragen ist demokratische Pflicht

Warum? Vielleicht ist es die Angst vor den eigenen Schwächen. Inhaltliche Positionen sind immerhin der Kern jeder Weltanschauung. Je schwächer diese sind, desto stärker muss der Schutz sein. Ideologien aller Art sind nichts anderes als Schutzwälle, die die inhaltlichen Positionen zu schützen versuchen. Der Kern unserer Meinungen sagt gleichermaßen auch viel über uns als Personen aus. Inhaltliche Auseinandersetzungen sind auch deshalb so selten. Weil nur der ehrliche Diskutant sich völlig offen und entblößt öffentlich zeigt und Angst davor hat zerrissen zu werden. Doch genau das würde es brauchen. Wären nur inhaltliche Punkte ausgetauscht worden, das Lied des WDR wäre kaum ein Thema gewesen.

Und so bleibt eine Erkenntnis: Die Kunst ist es sich das Leben schwer zu machen. Hinnehmen müssen wir, dass unsere Kategorien meistens Quatsch sind und einer viel zu komplizierten Welt selten gerecht werden. Es ist anstrengend hinterfragt zu werden, erschöpfend seine Positonen zu überdenken. Aber es ist der einzige Weg. Demokratie bedeutet eben auch, dass diese Last auf allen Schultern gleichermaßen verteilt wird.

 

4 Kommentare

  1. freiedenkerin · Januar 12, 2020

    Wahre Worte, die sehr zum Nachdenken, zum Hinterfragen der eigenen Einstellungen und Diskussionskultur anregen.
    Vielen Dank dafür.

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  2. Barbara Cronauer · Januar 13, 2020

    … oder, frei nach der alten Weisheit: „Gott, gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, UND die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

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