#niewiederoeffnen – Wie die Kritiker sich selbst vorführen und warum es soweit kommen konnte

Diese Woche hat es geheißen: #allesdichtmachen #niewiederoeffnen und #lockdownfuerimmer

Eine Gruppe von 54 Schauspielern hat sich zusammengetan, um in satirischer Form Kritik zu äußern. An der verfehlten Corona-Kritik, an einer Medienlandschaft, die die Regierung nicht in die Pflicht nimmt und an der Gesellschaft, die sich einfachem Schwarz-Weiß-Mustern hingibt. Man kann also sagen, dass jene Künstler getan haben, was man von Künstlern erwarten kann: Den Finger in die offensichtliche Wunde legen.
 
Dass ihnen dies geglückt ist, sieht man an der daraufhin entstandenen Debatte. Lange wurde nicht mehr so intensiv über etwas diskutiert, wie über diese Kunstaktion. Sie waren erfolgreich in ihrem Vorhaben offenzulegen, was offensichtlich war, aber doch unerwähnt blieb.

Zuhören statt canceln

Denn das Ausmaß der Härte der Kritik war es – die unglaubliche Empörung und die Aufrufe, unter anderem auch von einem WDR Fernsehrat, jenen Schauspielern nie wieder einen Job im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen zu geben – die nicht die Kritisierten, sondern vielmehr die Kritisierenden selbst vorführen. Wann nämlich war es jemals gerechtfertigt jemandem seine finanzielle Existenz rauben zu wollen, nur weil Kritik geübt wurde? Wann haben wir uns als Gesellschaft dahin entwickelt, dass falsche Kritik zwangsläufig Konsequenzen für die Kritisierenden haben muss? Und warum sehen das so viele nicht als problematisch an?
 
Ich kann den Kritikern nur raten: Schaut euch die Videos mal wirklich an. Nicht nur Ausschnitte oder einzelne Sätze ohne Zusammenhang. Man wird kritische Stimmen finden. Stimmen, die kritisieren, was ganz offensichtlich falsch läuft. Was man nicht finden wird, ist extremistisches Gedankengut.

Der Bürger ist schuld

Dass wir überhaupt an einem Punkt angekommen sind, an dem es Mut erfodert, Regierungskritik zu äußern – dass man, sich überlegen muss, ob die Kritik die zu erwartenden Konsequenzen wert sind, macht mich sehr traurig. Es muss ein Weckruf für uns alle sein. Ganz im Sinne des berühmten Zitats: „Ich hasse, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst.“ Ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, versteht sich.
 
Allerdings hat sich mittlerweile irgendwie das Framing manifestiert, dass Kritik und Widerspruch schädlich seien und dass Kritiker so etwas wie Mörder seien. Eine Entwicklung, die ihren Ursprung schon zu Anfang der Krise nahm. Nämlich als die Regierung immer wieder betonte „Wenn sich jeder an alle Regeln halten würde, dann wären die Inzidenzen schon längst wieder unten.“ Das ist und war nichts anderes als ein Weiterreichen der Verantwortung an den Bürger.

Ein moralischer Schutzwall gegen Kritik

Der Regierung ist es gelungen, Kritik an ihr grundsätzlich als pandemietreibend zu deklarieren. Wer sich nicht an die Regeln hält oder an Alternativen erinnert, sorgt dafür, dass Menschen sterben. Kritiker sind die Hauptschuldigen am Sterben in der Corona-Krise. Ein moralischer Antikritik-Schutzwall sozusagen. Es gibt keine Möglichkeit die Maßnahmen zu kritisieren, über den Sinn oder Unsinn von Lockdown zu diskutieren, weil man anderweitig eine schwere Schuld auf sich lädt. Übersetzt heißt das: Zustimmen oder Klappe halten.

Wer anderen ihre Freiheit nimmt, wird sie selbst verlieren

Das darf so nicht sein. Jedem Demokraten sollte dies eigentlich klar sein. Eine Regel muss uneingeschränkt gelten: Immer muss man kritisieren dürfen. Ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Ohne Abwägen zu müssen. Unsere Demokratie ist so stark wie die Fähigkeit der Bürger andere Meinungen auszuhalten. Sie wird brüchiger, je polarisierter, eindeutiger und respektloser die Diskussion wird. Deshalb kann ich nur mit der Bitte schließen: Seid offen, bleibt respektvoll und zerfleischt euch nicht gegenseitig. Wir alle wollen in Frieden und Freiheit leben. Wir alle wollen das Beste füreinander. Nur indem wir das anerkennen, bleibt unsere Demokratie auch in der Zukunft stark.

Wir müssen uns merken: Wer anderen ihre Freiheit einschränken oder ganz nehmen will, wird sie über kurz oder lang selbst verlieren.

2 Kommentare

  1. Siegfried Rösler · April 25, 2021

    Wie weit sind wir schon gekommen?? Existentiell Betroffene dürfen ihrer Verzweiflung keine Stimme geben? Die Ärzte, Pfleger, die sich (zurecht) auch beklagen, dass sie am Limit arbeiten und die Kampagne der Künstler verurteilen, sind selbst Teil eines gewinnorientierten und kaputt gesparten Systems! Wir, das „Volk“, damit meine ich alle Arbeitenden vom 450€-Jobber bis zum Arzt, dienen dem Gemeinwohl mit der Arbeit und den Steuern. Warum schaffen wir es nicht, gemeinsam durch diese Pandemie zu kommen und zerfleischen uns gegenseitig? Mit der Maske ( deren Sinn unzweifelhaft ist) scheinen wir unser Gesicht und die Fähigkeit zur Empathie verloren zu haben. Wenn wir denn kämpfen wollen, sollte sich dieser Kampf gegen die Krisengewinnler, deren politischen Handlanger und all die richten, die diesen wie auch immer gearteten Notstand für ihre teils gefährlichen Zwecke zu nutzen gedenken.

    Like

  2. Anonymous · April 25, 2021

    Ein ganz herzliches Dankeschön an Henry Lazarus für diesen Beitrag!
    Ich hatte schon manchmal das Gefühl, mit meiner Haltung zu Corona und den damit verbundenen Maßnahmen allein auf weiter Flur zu sein!
    Da macht es mir Mut, Gedanken zu lesen, die den meinen in Vielem entsprechen!
    Dass wir auch bei unterschiedlichen Sichtweisen respektvoll miteinander umgehen und kritische Äußerungen als elementares Recht in einem demokratischen Rechtsstaat wertgeschaezt werden – das ist auch mein Wunsch und meine Hoffnung!
    Mit besten Wünschen!
    Eva Judith

    Like

Hinterlasse einen Kommentar